Name als Stigma

Jüdische Namen und deren Diffamierung in der Nazizeit

 

Autor: Peter Leusch

 

O-Ton, Dietz Bering:

Aus einem Namen – wenn man zum Beispiel den Namen Josef sagt – kann man nicht schließen, dass das wohl ein Jude ist, wo gerade der grösste antisemitische Hetzer Joseph Goebbels war. Wenn man den Namen Rosenberg nimmt und sagt, das muss ja ein Jude sein, ... es hat einen jüdischen Beigeschmack. Faktum ist, dass der nazistische Theoretiker, nämlich Rosenberg, mit dem „Mythos des 20. Jahrhunderts“ eben einen Namen trägt, der zwar jüdisch scheint, in Wirklichkeit aber von vielen Menschen getragen worden ist, und so geht es mit dem Vornamen Josef, so geht es mit dem Vornamen Isaak – Isaak Newton, ...

kurzum: Was können wir als Quintessenz sagen? - Jüdische Namen sind die, die von den Nazis als jüdische verpfiffen worden sind. ... Und dass die Namen stigmatisiert werden, ist nur ein Reflex auf die Tatsache, dass man die Juden erkennen können wollte.

 

Autor:

Der Kölner Sprachwissenschaftler Dietz Bering hat in seinem Buch „Der Name als Stigma“ untersucht, wie die Nationalsozialisten jüdische und nichtjüdische Deutsche auseinander zu dividieren suchten. Doch den Grabenbruch, den die Nazis behaupteten, gab es nicht, bis sie ihn selber schufen. Nach einem Jahrhundert mühevoller Assimilation waren die Juden in der Weimarer Republik rechtlich gleichgestellt und gesellschaftlich weitgehend integriert. Am Beginn dieses Prozesses hatten sie sich  - in Preußen um 1812 - einen Vor- und einen Familiennamen nach deutschem Recht zulegen müssen. Viele orientierten sich bei ihrer Wahl an Gegenständlichem – Rosenzweig, Fliederbaum oder Goldstein zum Beispiel, andere wählten den neuen Namen in der klanglichen Nachbarschaft des alten – aus Moses wurde Moritz, aus Isaak Isidor, wie ein populärer Heiliger in Polen hieß. Den Umstand, dass überproportional viele Menschen mit dem Namen Isidor jüdischer Abstammung waren, machte sich die antisemitische Hetzpropaganda zunutze. Man verunglimpfte den Namen Isidor, bis er das Zerrbild des schmierigen, raffgierigen Ostjuden abgab. Sogar der Vizepolizeipräsident Berlins Bernhard Weiß wurde von Goebbels mit dem Schimpfnamen Isidor verhöhnt, wie Dietz Bering schildert:

 

O-Ton, Dietz Bering:

Bernhard Weiß, ein seit langer Zeit bestens assimilierter preußischer Jude, wollte eben immer noch ein bisschen preußischer sein, als die Preußen sind, und die Preußen sind, offensichtlich und wie bekannt ist, Menschen, die vom Grundsätzlichen her an Dinge herangehen ... Dementsprechend ging also Bernhard Weiß, als er von Joseph Goebbels immer Isidor anstatt Bernhard - so hatte sein Großvater geheißen - angeredet und attackiert wurde, gegen ihn gerichtlich vor.

Nun ist es sehr interessant festzustellen, dass die Berliner Gerichte, die progressivsten eigentlich im Reich waren, und Bernhard Weiß gewann alle Prozesse. Goebbels ist mehrfach verurteilt worden, in den Tagebüchern kann man lesen, wie die Gerichtsprozesse und die Terminjagd  - er war regelrecht eingemauert in Prozesstermine - wie ihn das geärgert hat, aber das ist auch wieder eine allgemeine Schwierigkeit bei Beleidigungsprozessen. Bei Beleidigungsprozessen kommt die Beleidigung immer wieder zur Sprache, und so schaffte es Joseph Goebbels eben, dieses Süppchen immer am Kochen zu halten. Und indem Bernhard Weiß versuchte, mit aller Macht den Deckel darauf zu halten, war das ein allgemeines Berliner Thema.

 

 

Autor:

In seinem Buch „Goebbels contra Weiss“ hat Bering diesen Beleidigungsprozess analysiert, und zwar als ein Modellbeispiel von nationalsozialistischem Terror und den Chancen des Widerstands. Denn welcher jüdische Mitbürger sollte sich überhaupt der nationalsozialistischen Aggression erwehren können, wenn nicht Bernhard Weiß, ein mächtiger Repräsentant der Staatsgewalt, zweithöchster Chef von 14.000 Berliner Polizisten?

Nachdem die Nazis an die Macht gelangt waren, beließen sie es nicht bei der symbolischen Verunglimpfung der Namen. 1939 mussten alle Juden in Deutschland zusätzliche Vornamen annehmen – die Männer hießen nun Israel, die Frauen Sarah. Diese Namen funktionierten wie der gelbe Judenstern, sie waren Brandmale, mit denen man die künftigen Opfer markierte.

 

O-Ton, Dietz Bering:

Man muss sich die Wirkung klarmachen: Wer einen solchen Zusatzvornamen trägt, kann natürlich viel leichter herausgesiebt werden, wenn es darum geht, die Telefonanschlüsse zu kappen, wenn es darum geht, die Stadtviertel zu durchkämmen, um Transporte zusammenzustellen.

 

Autor:

Über Auschwitz, über dem Extrem des Grauens verdrängt mancher die Anfänge des Terrors, jenen Antisemitismus im Alltag, wo man die jüdischen Namen diffamierte. An diesen Zusammenhang erinnerte im Bundestag der Politiker De With: „Verächtlichmachen heißt, dem anderen die Achtung, seine Würde nehmen. Jeder weiss, dass den Juden erst die Würde und dann das Leben genommen wurde.“