Autor:
„Wir lernten
uns beim Tanzen kennen, deutscher Volkstanz, Partnertanz also, und waren beide
sehr erregt und erhitzt durch die körperlichen Berührungen und Anstrengungen.
In der Pause beobachtete ich, wie Peter mein Tuch, welches auf einem Stuhl lag,
nahm und heimlich daran schnupperte. Ich war erstaunt, dass er dies bei der
ersten Begegnung tat, und habe auch später festgestellt, dass er einen sehr
ausgeprägten Geruchssinn hat. Das bedeutet nun aber nicht, dass er körpereigene
Gerüche ablehnte, sondern im Gegenteil sie genoss. Er ging sehr frei damit um.
Ich selbst finde das sehr schön, da ich wirklich sagen muss, dass mich der
Geruch von Parfüm oder Aftershave absolut abtörnt, alle Sinne tötet.“
Eine
28jährige Frau gesteht, welch wichtige Rolle Körpergerüche in ihrem Liebesleben
spielen. Ihr anonymes Zeugnis ist eines von annähernd hundert, auf die sich die
Bremer Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld in ihrem gerade erschienenen
Buch Körpergerüche bezieht. Seit nunmehr fünf Jahren forscht Ingelore
Ebberfeld über das Verhältnis von Geruch und Sexualität. Wie empfinde ich meine
Körpergerüche, wie die des Partners? Welche faszinieren, welche stoßen ab? –
Fragen dieser Art rühren an ein Redeverbot, stellte Ingelore Ebberfeld in ihrer
Forschungsarbeit fest:
O-Ton, Ingelore Ebberfeld:
Ich bin auf
große Tabus gestoßen. Heutzutage spricht man ja über alles. Aber über den
Körpergeruch nicht, weil der Körpergeruch ein Igittigitt ist, jeder weiß aber,
dass das nicht stimmt. Wann immer ich Menschen angesprochen habe, ‚Können
Sie mir vielleicht ein Geruchserlebnis zuschicken’ - was anonym gelaufen
ist, ich kenne die Absender nicht - Ja, ja, das stimmt, ich habe auch so
etwas erlebt.’ Aber sich hinzusetzen und es aufzuschreiben, hieß unheimlich
viel von sich preiszugeben. Das hat sehr lange gedauert, bis ich überhaupt mehr
als hundert Erfahrungsberichte zusammen hatte. Und es ist auch so, sobald man
über den Geruchssinn forscht, jedenfalls in diesem Bereich, den ich versucht
habe, ein bisschen abzuklären, dass man auch selber ein bisschen für verrückt
erklärt wird....
Und ich habe
begriffen, dass das Reden über den eigenen Körpergeruch oder den der anderen
etwas sehr Intimes ist. Dass wir über dieses Verhältnis sehr viel verraten,
wenn wir über Körpergerüche sprechen. Wir verraten, wie wir uns reinigen,
welche sexuellen Vorlieben wir haben, bis hin zu Wünschen, die wir haben.
Autor:
Nicht
wenige Zeitgenossen duschen zweimal täglich. Und das Geschäft mit Parfüms und
künstlichen Duftnoten boomt. Eigengeruch hingegen scheint verpönt, von
Achselschweiß oder gar Geschlechtsgeruch ganz zu schweigen. Doch Menschen
riechen. Babys und Kleinkinder umhüllt Wohlgeruch, eine Duftwolke aus Milch,
Pfirsich und Vanille. Erwachsene riechen strenger und schwerer, jeder ein
bisschen anders. Ihr individueller Geruch, oft ein Gemisch aus körpereigenen
und künstlichen Düften, sei jedoch entscheidend in Liebesdingen, so die
provozierende These Ingelore Ebberfelds.
O-Ton, Ingelore Ebberfeld:
Ich würde
sagen, dass ohne Körpergeruch, Sexualität und Liebe weder denkbar noch machbar
sind. Im Tierreich können wir das nachvollziehen und da glauben wir das auch,
wenn wir Tiere sehen, dass sie sich gerüchlich erst einmal abtasten und dann
zum Wesentlichen schreiten. Und beim Menschen ist es so, dass wir das
ignorieren und ausschalten, generell ist es aber doch so, dass wir unbewusst
mit unserem Geruchssinn agieren.... Wir entscheiden, wenn wir uns körperlich nähern,
ob der, der uns gegenüber sitzt, ob der ein möglicher Sexualpartner ist, und
das entscheidet zuletzt – in letzter Instanz – die Nase. Zunächst entscheiden wir nach Augen. Gefällt
dieser Mensch uns oder gefällt er uns nicht? Oder nach dem Gehör – was dieser
Mensch erzählt oder auch die Stimme kann sehr beeinflussen, wenn es um eine
Entscheidung geht, ob ich den mag oder nicht. Aber je intimer es wird, desto
mehr sagt die Nase, wo es lang geht. Und stimmt der Geruch nicht, dann können
wir nichts dagegen tun, dann gibt es eine innere Blockade, und wir können uns
demjenigen nicht mehr annähern. Und in dieser Studie, die jetzt veröffentlicht
worden ist, da ist es so, dass ich genau die Beschreibungen der Menschen
aufgreife, die sagen, der Geruch gefiel mir nicht, und da konnte ich nicht
mehr. Also so weit geht das.
Autor:
Wir sind
nicht die totalen Augentiere, wie uns die mediale Bilderwelt suggeriert.
Jedenfalls nicht, wenn wir uns näher kommen. Bei Paaren ist ungeheuer wichtig,
dass sie sich riechen mögen, pointiert gesagt: Liebe geht durch die Nase.
Ebberfelds These war den Dichtern aller Zeiten bekannt, vom Hohen Lied im Alten
Testament bis zu Patrick Süskinds Roman Das Parfüm. Psychologen und
Parfümeure wissen um die Macht der Düfte.
Im Tierreich
ist die Bedeutung des sexuellen Geruchsverhaltens den Biologen schon länger
bekannt. Und seit die Hormone erforscht sind, haben Mediziner und
Naturwissenschaftler auch beim Menschen interessante Zusammenhänge zwischen
Geruch und Sexualität aufdeckt - zum Beispiel, dass sich bei Frauen der
Menstruationszyklus verlängert, wenn längere Zeit keine Männer in ihrer
nächsten Umgebung sind, und sich wiederum verkürzt, wenn sie in näherem Kontakt
mit Männern stehen. Die Vorgänge werden vermutlich über die Geruchswahrnehmung
unbewusst gesteuert. Ebberfeld versucht in ihrem interdisziplinären Ansatz
Erkenntnisse der Naturwissenschaften mit geisteswissenschaftlichen Perspektiven
und Methoden zusammenzuführen. Doch gerade die Geisteswissenschaften machen es
ihr nicht leicht. Denn in der philosophischen Tradition gilt die Nase bis in
die Gegenwart hinein als niederer Sinn, dem keine Vernunft innewohne, und dem
keinerlei Erkenntnis entspringe.
O-Ton, Ingelore Ebberfeld:
Das ist so,
die Nase wird nicht nur als niederer Sinn angesehen, sondern alles was von ihr
kommt wird auch skeptisch betrachtet. Ich würde aber behaupten, dass der Mensch
eine ausgezeichnete Nase hat. Wenn Sie zum Beispiel einen Tropfen Parfüm in
einem Riesenhaus, in einem Hochhaus verteilen, kann jeder Mensch, der riechen
kann, diesen Tropfen finden, das ist die eine Tatsache.
Die zweite
ist, wir sind unseren Sinnen, unserem Geruchssinn gegenüber so skeptisch, weil
wir so machtlos sind der Nase gegenüber. Denn wenn wir einen Geruch wahrnehmen,
sagt unser Gefühl sofort, den mag ich oder den mag ich nicht. Er ist mit
Affekten ausgestattet, wir können uns schlecht dagegen wehren. Und das ist es
wohl, warum wir der Nase nicht trauen. Wir können ihr aber trauen, sie sagt
uns, ob etwas gut oder schlecht ist. Es ist natürlich so, dass wir glauben, sie
manipulieren zu können, zum Beispiel durch künstliche Düfte, oder indem wir
Reinigungsmittel verwenden, aber hinter all diesen Düften stehen immer noch die
natürlichen Gerüche, die kriegen wir nicht ganz weg, das kann man zum Beispiel
daran sehen, dass ein Hund uns aus einer Gruppe von Menschen, selbst wenn alle
parfümiert wären, herausriechen könnte.
Autor:
Die
Wahrnehmung der Nase funktioniert vollkommen unmittelbar. Riechen ist ein Sinn
der Nähe wie Tasten und Schmecken. Aber Geschmacks- und Tastsinn erlauben noch
ein gewissen Abstand: Was einen möglicherweise ekelt, muss man nicht unbedingt
anfassen und schon gar nicht in den Mund stecken, riechen aber schon, denn man
kann sich nicht fortwährend die Nase zuhalten. Die Nase ist widerstandslos
offen zur Welt wie das Ohr. Das Auge
hingegen, der wichtigste Fernsinn, kann sich von Unangenehmem abwenden,
kann woanders hinschauen und sich auf diese Weise jede gewünschte Distanz verschaffen.
Aber Gerüche, die in die Nase schlagen, wirken intensiv, sie sind eindringlich
im wahrsten Sinne des Wortes. Deshalb zwingt der Geruchssinn zur unmittelbaren
Stellungnahme, zum Ja oder Nein, und erlaubt kein distanziertes, abwägendes
Urteil.
O-Ton, Ingelore Ebberfeld:
Man muss
dazu auch wissen, dass unser Geruchssinn in einem Teil des Gehirns angesiedelt
ist, der – dieser Teil des Hirns – auch verantwortlich ist, für unsere Gefühle
und für unsere Sexualität. Und alles was mit unserer Sexualität zusammenhängt,
kann wenig oder nur teilweise von der Ratio gesteuert werden. Wir sind
natürlich in der Lage zu sagen, ich möchte das jetzt und das aber nicht, ... in
einer öffentlichen Situation haben wir uns sexuell im Griff, aber unsere Nase
nicht, die sagt uns bestimmte Dinge, und da sind wir so ein bisschen hilflos
der Nase ausgeliefert und deshalb ist diese Skepsis vorhanden, aber sie ist
nicht angebracht, weil die Nase uns letztlich aus sehr viel Sicherheit gibt,
wir erkennen über unsere Nase auch den anderen immer wieder.
Autor:
Die Philosophie
hat mit ihrem Vorurteil, dass der Geruchssinn zu keiner Erkenntnis fähig sei
vor allem in einer Hinsicht Unrecht. Der Geruchssinn vermag wie kein anderer Menschen und
Situationen wiederzuerkennen und Erinnerungen an sie wachzurufen. Die Nase ist
ein hervorragendes Gedächtnis. Dieses Zusammenspiel von Geruch und Erinnerung
kennt jeder aus seiner Erfahrung. Der Duft bestimmter Gewürze und Backwaren
beispielsweise erinnert unwillkürlich an Weihnachten. Oder man riecht frisch
gemähtes Heu und denkt an Abenteuer der Kindheit. Gerüche lassen eine ganze
Erlebniswelt wiedererstehen in einer Eindringlichkeit, gegen die man sich nicht
zu wehren vermöchte.
O-Ton, Ingelore Ebberfeld:
Die
Erinnerung durch den Geruch kann man nicht manipulieren. D.h. wenn ich einen bestimmten Geruch wahrnehme,
bin ich mir sehr sicher ob ich den schon einmal gerochen habe oder nicht. Und
zwar über den Zeitraum des ganzen Lebens. Es gibt Personen, die konnten eine
bestimmte Situation erinnern, weil sie den Geruch wahrgenommen haben, nicht die
Stimme, sondern den Geruch eines Menschen. Und in den zwanziger Jahren wurden
auch Duftstoffe eingesetzt, damit bestimmte Menschen, die etwas verdrängt
haben, das wieder erinnern können. Und nun muss man sich vorstellen, dass die
Erinnerung, weil sie so mit Emotionen verknüpft ist, jedes Mal wenn ich mich an
einen Geruch erinnere, sofort meine Gefühle mit im Spiel sind. Das ist
unabwendbar, wenn ich einen Geruch wahrnehme, werde ich ad hoc in die Situation
versetzt, in der ich war, als ich diesen Geruch, das erste Mal wahrnahm und er
mich sozusagen eingewickelt hat.
Wenn ich in
einer liebevollen Situation war, und der Geruch dazugehörte, werde ich diese
Situation auch immer wieder erinnern, wenn der Geruch bei mir wieder geweckt
wird. Das kann man besonders wahrnehmen, wenn man Kleider von anderen Menschen
riecht, wenn man die Wohnung wahrnimmt, wenn man bestimmte Anlässe riecht.
Autor:
Nun ist
Ausrichtung des Geruchs aber nicht bei allen Menschen gleich. Woher kommen die
Unterschiede? Welche Geruchswahrnehmungen sind angeboren, welche sind erworben,
oder anders gefragt: was ist schon von Natur festgelegt, was durch Kultur
geformt?
Zu diesem
Problem hat Ingelore Ebberfeld wie schon
in ihrem ersten Buch Botenstoffe der Liebe aus dem Jahr1998 ethnologische
Berichte herangezogen und ausgewertet:
O-Ton, Ingelore Ebberfeld:
Manches
haben wir gelernt, Kinder sind sehr unbedarft gegenüber Gerüchen, und sie
lernen, dass bestimmte Gerüche schlecht sind. Bestimmte Völker mögen bestimmte
Gerüche und andere wiederum nicht, also können zum Beispiel unheimlich gut mit
Käsegeruch umgehen, und wir haben auch keine großen Aversionen gegen Käsedüfte,
Chinesen lehnen Käsegeruch ab, sie schütteln sich sozusagen, und unseren
Körpergeruch akzeptieren wir im großen und ganzen auch, wir fühlen uns unter
Deutschen wohl, aber es kommt sehr wohl vor, dass Asiaten, die Europa besuchen,
sagen: ‚Hier stinken die Leute.“ Sie bezeichnen sie auch als ‚Butterstinker’,
d. h. auch Gruppen von Menschen, Völker, sogar Rassen haben ihren eigenen
Geruch, und insofern kann man sagen, dass der Geruch nicht nur Mitteilung macht
über jemand anders, sondern uns auch eine bestimmte Identifikation gibt.
Autor:
Die Nase
sagt uns also nicht nur, ob Nahrungsmittel verdorben sind, die Geruchswahrnehmung
hilft uns auch bei einer Orientierung in der Welt, und zwar viel komplexer als
wir gemeinhin glauben. Warum empfinden wir dass andere Völker nicht gut
riechen, warum werden wir überhaupt zunehmend kritischer gegenüber
Körpergerüchen?
Der Soziologe
und Historiker Norbert Elias hat in seinem berühmten Werk Der Prozess der
Zivilisation beschrieben, wie sich in Europa seit dem Spätmittelalter ein
Menschentypus herausgeformt hat, der unter einer extrem hohen Selbstkontrolle
steht. Zunächst waren es äußere Gebote und Verbote, die die Manieren bei Tisch,
die Körperhygiene und das Verhältnis zum
anderen Geschlecht betrafen. Die Menschen haben die Verbote allmählich
verinnerlicht, aus Fremdzwang wurde Selbstzwang. Das Spucken beispielsweise ist
mehr und mehr aus der Öffentlichkeit verbannt worden, so dass bei den meisten
Menschen heute, wenn man sie fragt, überhaupt kein Bedürfnis mehr existiert
auszuspucken.
Elias macht
aber auch deutlich, dass in diesem Zivilisationsprozess eine Distanzierung vom
Körper stattgefunden hat, die problematisch wird. Der moderne Mensch verleugnet
seine Naturhaftigkeit in einem Maße, die ihn selber krank macht. Elias hat kein
spezielles Kapitel über die Nase und die Normierung des Geruchssinns
geschrieben. Vielleicht holt dies Ingelore Ebberfeld nach, sie kritisiert
jedenfalls, dass die Verpönung der Körpergerüche in der modernen Gesellschaft
zu weit geht.
O-Ton, Ingelore Ebberfeld:
Ich würde
fordern, dass wir wieder ein gesünderes Verhältnis zu unseren Körpergerüchen
bekommen. Dass wir akzeptieren, dass Menschen nun einmal so oder so riechen, ob
das nun im Sommer ist, und dass man diese Gerüche nicht leugnet. Frauen
entwickeln nun einmal Körpergerüche, wenn sie ihre Menstruation haben. Und sich
hinzustellen, und zu sagen, das ist krank, das ist übel, das ist das Problem.
Oder auch wenn wir jemanden wahrnehmen, ihn zu verteufeln, weil er menschliche
Gerüche entwickelt, aber ihn nicht zu verteufeln, wenn er sich mit Parfum
eingeballert hat, so dass manche schon eine Allergie davon bekommen, das ist
m.E. der falsche Weg. Ich will damit nicht sagen, das ich sauren Schweiß
angenehm finde, und das auch gut finden würde, wenn wir in einer stinkigen Welt
leben würden, aber dass man zumindest anerkennt, dass es diese Gerüche gibt,
und dass sie genauso natürlich sind wie unser Augenaufschlag.
Autor:
Kultur im
Menschen muss nicht notwendig aller Natur abschwören und ihr den Krieg
erklären. Nach Versöhnung trachtete Goethe, der ein ausgesprochener
Sinnenmensch war:
Schaff
mir ein Halstuch von ihrer Brust, / Ein Strumpfband meiner Sinneslust dichtete er. Und das blieb nicht nur
poetische Frivolität. Man weiß, dass Goethe der Frau von Stein ein Mieder
entwendete. Um daran schnuppernd seiner Herzensdame nahe zu sein ...