Geräuschcollage:
Alltagsszene
im Straßenverkehr, vielfältige
Höreindrücke
Sprecherin:
Eine
Straßenbahn rauscht heran; vorbeischlürfende Schritte; Stimmen - jung, lebhaft.
Vorn ein Husten, jemand läuft, klackend öffnen sich Türen, helles Frauenlachen
links, rechts ein Niesen, blechern weiter oben die Lautsprecher. Ein Pfeifen
und Zischen: Türen schließen sich; im Lärm verweht, Fetzen einer fremden
Sprache.
Sprecher:
So etwa
liest sich ein Stück aus jener Fülle akustischer Eindrücke, die das menschliche
Ohr im Alltag aufnimmt und blitzschnell analysiert. Man hält dies für eine ganz
gewöhnliche Sinnestätigkeit und geht darüber achtlos hinweg. In Wahrheit
demonstriert das Ohr, zu welchen Meisterleistungen es tagtäglich aufgerufen und
imstande ist.
Doch das
Hören wird im Vergleich mit dem Sehen unterschätzt, erklärt Karl Karst,
Wellenchef bei WDR 3.
Karl
Karst, O-Ton:
Wir leben
mit dem Ohr im Straßenverkehr, wir sind auf das Ohr dringend angewiesen, wenn
wir mit dem Fahrrad fahren, wenn wir zu Fuß gehen. Das Ohr ist unser Auge nach
hinten. Das Ohr ist unser Warninstinkt. Das Ohr ist entwicklungsgeschichtlich
das Rundum-Orientierungssystem. Das Ohr ist unser Raum-Lage-Sinn. Das Ohr ist
das einzige Sinnesorgan, das Tag und Nacht offen ist, es ist das einzige, über
das wir uns – wenn wir es haben, wenn wir nicht taub oder behindert sind - morgens wecken lassen können. Ich kenne
niemanden, der sich mit einer Warnblinkanlage wecken lässt, aber das soll es
auch geben. Die meisten lassen sich von akustischen Signalen wecken – warum?
Weil das Ohr permanent aufpasst, es horcht die Umgebung ab, es ist auch der
einzige Sinn, der sozusagen 360 Grad empfängt. Das Auge hat nur ein begrenztes
Spektrum, kann immer nur in einen ganz bestimmten Winkel schauen, je nach
Fähigkeit des Auges. ... Das alles sage ich nur, um klar zu machen, dass wir
diese Bedeutung bislang nicht wertschätzen, und das ist der Punkt: Die
Gesellschaft, wir alle, schätzen nicht wert, wie bedeutsam das Ohr für uns im
Alltag ist.
Sprecherin:
Die
gesellschaftliche Unterbewertung des Ohres zu korrigieren, dieser Aufgabe hat
sich Karl Karst seit über einem Jahrzehnt gewidmet. 1997 gründete er in Köln
die sogenannte Schule des Hörens, einen gemeinnützigen Verein, der die
Kulturformen des Hörens und Zuhörens ins öffentliche Bewusstsein rücken will.
Man produzierte zu diesem Thema Hörfunkreihen, organisierte Seminare und
Veranstaltungen. Im kommenden März wird eine Stiftung Hören entstehen.
Sprecher:
Das Projekt
Schule des Hörens stellt sich gegen eine lange Denktradition, die seit Platon
den Sehsinn bevorzugt hat. Der Begriff Theorie ist vom Wort theorein –
schauen, betrachten abgeleitet. Und die Wahrnehmung wurde immer vom
Paradigma des Auges verstanden, also wahrnehmen auf sehen zurückgeführt. Heute
weiß man, das es sich bei den frühesten Erfahrungen des Menschen nicht um
visuelle, sondern um akustische Wahrnehmungen handelt.
Geräusch:
Herztöne,
intrauterin (unterlegen)
Sprecherin:
Unsere Ohren
sind geöffnet, noch bevor wir geboren werden. Als einziges Sinnesorgan ist das
Gehör beim Fötus schon drei Monate vor der Geburt vollständig entwickelt und in
Funktion. Und das erste, was das Ungeborene von der Welt wahrnimmt, sind die
Herztöne der Mutter und ihre Stimme. Hier liegt die Empfänglichkeit des
Menschen für Rhythmus und Töne begründet, der Zusammenhang von Musik und
Emotion.
Sprecher:
Das Gehör,
der früheste menschliche Sinn, ist ein Tor, das Tag und Nach offen steht. Den
Blick kann man abwenden, das Auge schließen. Aber das Ohr gewährt immerzu
Einlass. "Das Auge führt den Menschen in die Welt, das Ohr führt die Welt
in den Menschen ein." – schrieb der Naturforscher und Philosoph Lorenz
Oken.
Sprecherin:
Tast- und
Geschmacksinn nehmen ein Stück Welt nur im direkten Kontakt wahr, sie sind
ausschließlich Sinne der Nähe. In ihrem Fall lässt sich, was man nicht mag,
leicht auf Distanz halten. Schwieriger hat es schon die Nase. Denn Gerüche,
angenehme wie üble, dringen ungefragt ein. Aber noch viel weiter reicht das
Ohr, es ist Sinn der Nähe und der Ferne zugleich.
Sprecher:
Solche
Überlegungen zur Anthropologie der Sinne sollen keine neue Hierarchie
begründen, in der nun das Ohr vor dem Auge rangiert, es geht vielmehr, so auch
Karl Karst, um eine Gleichstellung von Auge und Ohr im Pluralismus der Sinne.
Sprecherin:
Die neue
Sensibilisierung für den Hörsinn hat allerdings besonderen Grund. Sie entsteht
in einer Zeit und Gesellschaft, die dem Ohr
immer mehr Lärmbelästigung zumutet. Vor allem der Verkehrslärm einer
hypermobilisierten Welt nimmt ständig zu.
Sprecher:
Die
Lärmschneisen des Verkehrs in den Städten und um sie herum werden immer breiter
und lauter. Den Luftraum hat ein ständig wachsender Flugverkehr erobert, An-
und Abflugschneisen überziehen ehemals ruhige Vororte und manch abgelegenen
Landstrich mit einem Geheul, das Luftangriffe fürchten lässt. Weniger laut,
aber keineswegs weniger penetrant durchdringen Medien und Werbung mit
akustischen Kampagnen den öffentlichen und privaten Raum. Allenthalben tobt ein
Kampf um die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen, der das Ohr nicht weniger
attackiert als das Auge. Die Welt wird immer lauter und hektischer, Ruhe und
Stille lassen sich kaum noch finden.
Sprecherin:
An der
Justus-Liebig-Universität leitet der Naturwissenschaftler Gerald Fleischer eine
Arbeitsgruppe Hörforschung. Fleischer setzt sich schon seit zwei Jahrzehnten
wissenschaftlich mit Lärm auseinander. 1990 veröffentlichte er die Schrift mit
dem Titel Lärm – der tägliche Terror.
Gerald
Fleischer, O-Ton:
Wir haben es
zu tun im wesentlichen bei dem lästigen Lärm mit akustischem Abfall. D.h.
Abfall von Maschinen, die an sich völlig andere Zwecke haben, zum Beispiel
Autos, Eisenbahnen, Flugzeuge oder sonstige, und wir leben in einer
hochtechnisierten Welt, und wir müssen eben lernen, so mit dem akustischen
Abfall umzugehen, dass möglichst wenig davon betroffen sind, und wir sollten
nicht eins machen, dass Armen, die sich nicht wehren können, einfach der
akustische Abfall jahrzehntelang herabgeregnet wird, und dass wir ihnen das
zumuten und ihnen so das Leben vermiesen. Das
sollte man nicht tun, sondern sich bewusst machen, wie man damit umgeht, und
Regelungen finden, die halbwegs fair und gerecht für die gesamte Gesellschaft
sind.
Sprecher:
Fleischer
sieht im Lärmproblem nicht nur technische und medizinische, sondern auch
politische und soziale Aspekte. Dabei überspringt er jedoch nicht die
wissenschaftliche Erforschung und Beschreibung des physikalischen Phänomens.
Bei jedem Schallereignis handelt es sich um Druckschwankungen der Luft. Im
Gegensatz zum Licht, das auch den luftleeren Kosmos durchquert, braucht der
Schall einen materiellen Träger. Im Vakuum herrscht Totenstille. Die
Schallwelle, anders gesagt, die Druckschwankungen erreichen das menschliche
Ohr. Dort versetzen sie das Trommelfell in Schwingung. Diese Schwingungen
werden durch die winzigen Gehörknöchel – Hammer, Amboß und Steigbügel -
verstärkt und auf die Flüssigkeit im Innenohr übertragen. In der Schnecke des
Innenohrs sitzen die Hörzellen, die die Schwingungen in elektrische Impulse
übersetzen und zum Gehirn weiterleiten.
Sprecherin:
Akustische
Zusammenhänge offenbaren, dass es sich beim Schall um eine physikalisch
messbare Energie handelt, die in den menschlichen Organismus eingeht. Jeder
kennt dies vom Extremfall der wummernden Bässe, die buchstäblich durch den
Bauch fahren. Die physikalische Sicht macht ebenso deutlich, wie sehr uns die
philosophische Tradition der Neuzeit in die Irre führt. Sie geht von einer
Subjekt-Objekt-Trennung aus: hier das Subjekt - der Mensch, dort das Objekt -
ein kracherzeugendes Gebilde. Unterstellt wird dabei, dass die Welt den
Menschen nur äußerlich angeht, gleichsam draußen bleibt. Der Lärm könne – so
die Suggestion – genauso leicht ignoriert werden, wie sich der Blick von der
Lärmquelle abwendet.
Sprecher:
Die
Schallwellen schwingen jedoch im Körper nach, das ist der physiologische Grund,
warum Musik den Menschen besonders anrührt, warum sie so leicht Stimmungen und
Gefühle zu wecken vermag.
Sprecherin:
Wie aber
wirkt der Schall, der als Lärm bewertet wird, auf den menschlichen Körper. Das
Wort Lärm verrät es selbst. Es stammt etymologisch von dem romanischen all’ arme, wörtlich übersetzt – zu den Waffen.
Lärm löst
Alarm im menschlichen Körper aus.
Stephan Marks, O-Ton:
Diese
körperliche Reaktion, die wir bei Lärm
verspüren, nämlich dass der Körper signalisiert bekommt, dass die Blutgefässe
sich verengen, dass wir anfangen zu schwitzen, und auf eine Flucht- oder
Kampfreaktion vorbereitet werden – körperlich, das ist wie in der Höhle.
Körperlich sind wir wie die Steinzeitmenschen ausgerüstet, dass wir wie in der
Steinzeithöhle – plötzlich: gefährliches Tier - Alarmreaktionen des Körpers
haben, die uns befähigen, innerhalb kürzester Zeit zu fliehen oder uns gegen
dieses gefährliche Tier zu wehren. Und diese Reaktion erleben wir dauernd, wenn
ein lautes Motorrad fährt, ein Flugzeug über uns hinwegdonnert oder von
irgendwoher - Wumm, wumm - die Bässe
dröhnen, d.h. unser Körper erlebt dauernd diese Stressreaktion, ohne dass jetzt
in der Regel eine Gefahr da ist, und auf die Dauer zermürben sie uns, machen
sie uns krank.
Sprecher:
Stephan
Marks, Sozialwissenschaftler in Freiburg, hat jüngst ein ebenso kämpferisches
wie informatives Sachbuch zum Thema Lärm geschrieben mit dem lapidaren Titel: Es
ist zu laut. In seinem Buch diskutiert Marks auch die Frage, wie Lärm
physisch und psychisch auf den Menschen wirkt.
Sprecherin:
Marks führt
Untersuchungsergebnisse an, dass Lärm zu verringerter Leistungsfähigkeit und
erhöhter Ermüdung führe, zu Beeinträchtigung von Konzentration und kreativer
Arbeit. Lärm verändere auch die Gefühlswelt. Bei übergroßer Lautstärke schütte
die Nebenniere wie bei einer tatsächlichen Alarmsituation vermehrt Adrenalin aus, das in Flucht- oder
Aggressionsimpulsen wirksam werde. Lärm
zerstört demnach den psychischen Gleichmut, er macht entweder gereizt und
aggressiv oder er löst Ohnmachtsgefühle aus.
Sprecher:
Zu beidem
diente der Einsatz von Kriegstrommeln, wie sie historisch zuerst die Türken
eingesetzt haben. Es gilt die eigene Kampfeslust anzuheizen, den Feind jedoch
auf diese Weise mürbe und mutlos zu machen.
Stephan
Marks hat auch die negativen Folgen des Lärms für die zwischenmenschliche
Kommunikation geschildert:
Atmo:
Baustelle oder Fabriklärm (dem folgenden Dialog unterlegt)
Sprecherin:
Es ist ganz
schön laut hier, nicht wahr.
Sprecher:
Was sagen
Sie, bitte?
Sprecherin:
Es ist laut
hier!
Sprecher:
Was, bitte?
Sprecherin:
Laut!!
Sprecher:
Ja!!
Sprecherin:
Auf der
Baustelle, in der lauten Fabrik, in der Diskothek verkümmert die Kommunikation.
Menschen erweisen sich in einer lauten Umgebung als weniger hilfsbereit. Man
möchte die lärmbelastete Umgebung möglichst schnell fliehen, sich um nichts und
niemanden weiter kümmern.
Sprecher:
Ein
hochrangiger Flughafenangestellter, der öffentlich für den Ausbau des Airports
ficht, fügt im vertraulichen Gespräch hinzu. Als erstes werde er mit dem Lineal
auf einer großen Landkarte die Flugschneisen einzeichnen, diese Zonen meiden
und sich auf jeden Fall anderswo ansiedeln. Wird solcher Zynismus Schule
machen? An der Ausweitung der Hypermobilität möglichst optimal mitzuverdienen,
um sich von ihren negativen Konsequenzen freikaufen zu können? Dann steht uns
eine Zweiklassengesellschaft bevor, wo die Ärmeren in den verlärmten Gebieten
ausharren müssen, während sich die Begüterten eine Wohngegend mit Luxusgut
Stille leisten können.
Sprecherin:
Nach Meinung
von Stephan Marks, hat diese soziale Spaltung schon stattgefunden:
Stephan Marks, O-Ton:
Diese
Zweiklassengesellschaften haben wir längst. Wenn Sie beobachten was um
Flughäfen herum geschieht, es gibt eine Studie über den Flughafen in London,
Heathrow, wo klar ist im Laufe der Jahre, dass die Leute, die es sich leisten
können, rausgehen und die Ärmeren bleiben da, die Gegend verfällt, soziale
Probleme kommen hinzu, denn Lärm macht ja auch aggressiv. Es gibt den ganz
deutlichen Zusammenhang: Lärm und Wut, Aggressivität, also die verkommen zu
Slums diese Lärmgebiete.
Sprecher:
Karl Karst,
Wellenchef bei WDR 3, sieht ebenfalls
eine solche Entwicklung zur Zweiklassengesellschaft, er schildert aber auch –
mit einer Mischung aus Faszination und Erschrecken – einen neuen Trend in den
USA: sogenanntes acoustic design, künstliche Klangwelten, die schon Einzug in
amerikanische Wohnzimmer gehalten haben:
Karl
Karst, O-Ton:
Wir kennen
aus den Staaten bereits ganze CD-Produktionsserien mit sogenannten atmosphere
collections. Atmosphere collections sind CDs, die Ihnen 60 Minuten
lang Regen, 60 Minuten lang surf, also Brandung, 60 Minuten lang
Waldesrauschen usw ins Haus bringen. Sie können sich denken, worauf es
hinausläuft: Wenn unsere Umwelt nicht in der Lage ist, eine natürliche
Klangsphäre herzustellen, die erträglich ist, dann werden mehr und mehr
künstliche Klangsphären entstehen, davon bin ich überzeugt. Wie sie entstehen,
das ist die Frage. Sind sie dem eigenen Einschalten überlassen oder bekommen
wir sogar die Möglichkeit, dass es in Zukunft einmal architektonische Lösungen
gibt, die gleich solche Klangsphären-Produktionen enthalten, also dass man
gleich so ein Haus hat mit der Möglichkeit, über den Zentralrechner je nach
Stimmungslage sich bestimmte Klänge oder Musiken zuzuführen. Das halte ich für
gar nicht so abwegig.
Hintergrundmusik:
(mit Supermarkt-Atmo mischen)
Sprecherin:
Atmosphere
collections in Form speziell aufbereiteter Musik haben hierzulande
schon weite Bereiche des öffentlichen Raumes erobert. Immer mehr
Kaufhäuser und Supermärkte, Friseursalons und Boutiquen, ja selbst städtische
Verkehrsbetriebe und öffentliche Schwimmbäder beschallen ihre Kundschaft mit
seichter Hintergrundmusik, in vielen Kneipen und Restaurants ist sie ohnehin
selbstverständlich, nicht einmal auf dem so genannten stillen Ort bleibt man
vor ihr verschont.
Die
Geschichte begann im Supermarkt. Seine Verkaufsstrategen hatten sich für den
Kunden zwei Begleiter ausgedacht, deren verführerische Dienste er nicht mehr
los werden sollte: den Einkaufswagen und die Hintergrundmusik.
Sprecher:
Offensichtlich
soll die musikalische Berieselung den Kunden entspannen, seinen Aufenthalt
verlängern, seine Kauflust stimulieren. Die Musik verströmt eine Atmosphäre von
Schlaraffenland. Hier wollen und sollen Konsumwünsche erfüllt werden, während
man leicht und locker zwischen Regalen hindurchschwebt. Nur der Einkaufswagen
eckt manchmal an. Man selbst jedoch gleitet durch eine Musik, die gleichsam
weichgespült scheint, weil sie dem Hörer nichts Sperriges mehr zumutet, weder
spitze Höhen, noch tiefe Bässe und auch keine extremen Rhythmen.
Hintergrundmusik,
Fortsetzung mit
Wechsel auf folgenden Titel:
Sprecherin:
Hintergrundmusik
hat die Unwiderstehlichkeit von Ohrwürmern. Beim aggressiven Lärm regt sich
Widerstand, man spürt, dass er unangenehm ist, Gegen Ohrwürmer, die ebenso
lästig werden können, ist man jedoch vollends machtlos. Nie war das Geschäft
der Verkäufer einfacher. Und während sich der Einkaufswagen wie von selbst
füllt, säuseln die Kassen dem Kunden ein ironisches Dankeschön entgegen.
Sprecher:
Nicht
immer sind die akustischen Kampagnen so süßlich wie Hintergrundmusik, wenn
allenthalben das Ohr beschallt wird. Karl Karst:
Karl Karst,
O-Ton:
Es ist
gerade ein Beleg für die Bedeutung des Ohrs, das mehr und mehr Menschen,
Firmen, Artikel, Geschäfte in dieses Ohr hineinzudringen, weil sie genau
wissen: Dies ist das Instrument, dies ist die Öffnung des menschlichen Körpers,
durch die man am ehesten direkt zum Emotionszentrum des Menschen kommt.
Deswegen ist dieses Dreingerede, das öffentliche Überreden-wollen sehr stark.
Es führt zu einem Nicht-mehr-hören-können, es führt dauerhaft auch zu einem
Nicht-mehr-zuhören-wollen. ... Wenn ich meinen Kindern – vier und acht Jahre -
permanent sage: ‚Hör das auf! Mach das nicht!!’ – Irgendwann, spätestens nach
zehn Minuten hört mein Sohn auf zuzuhören. Wenn ich ihm aber sage: ‚Johannes,
findest Du das gut?’ – Dann ist das eine andere Form der Ansprache.
Auf die
Intensität von Dreingerede, Lärm, akustischen Impulsen insgesamt angesprochen,
würde ich in jedem Falle sagen: Jeder der etwas mitteilen möchte, muss zuvor
gelernt haben, selber zuzuhören. Die Vorraussetzung von Zuhören ist: den Mund
zu halten. Die Voraussetzung dafür, das ich etwas wahrnehmen kann, ist zu
schweigen. Die Voraussetzung dafür, dass ich etwas plazieren kann, im
Hörbewusstsein der Menschen, ist es, Stille zuzulassen, ist es, Pausen zu
machen.
Dario
Dominguez: Pacha Siku (aus: Vor der Flut)
Sprecher:
Was ist
Stille? Was bedeutet sie für den Menschen?
Gelehrte und
Dichter verschiedener Kulturkreise haben an der Stille eine existentielle
Energie hervorgehoben: „Aus der Stille kommt die Kraft“, heisst es bei dem
chinesischen Philosophen Lao-tse, dem Begründer des Taoismus. Meister Eckart,
der christliche Mystiker, glaubte, dass der Mensch nur in der Stille Gott
erfahren könnte. Und der Philosoph
Kierkegaard meinte in Bezug auf die Moderne: „Der heutige Zustand der Welt ...
ist krank. Wenn ich Arzt wäre und mich fragte, was rätst Du? - Ich würde
antworten: schaffe Schweigen.“
Stephan Marks, O-Ton:
Es gibt
verschiedene Definitionen, aber ich würde unter Stille verstehen, die
Anwesenheit von Naturgeräuschen ...von Vogelzwitschern – ich möchte es jetzt
gar nicht romantisieren, es kann durchaus auch laut sein, - Wasserfälle sind
auch laut, aber wir brauchen diese Zeiten von Stille, um uns zu regenerieren,
vor allem um unsere Ohren rein körperlich von der Dauerbelärmung zu regenerieren,
unsere Sinneszellen brauchen dies, sonst sterben sie allmählich ab, wir
brauchen diese Momente der Stille, aber vielmehr noch um innerlich zu wachsen,
um Erfahrungen, die wir alle machen – wir lesen Zeitungen, wir hören
Nachrichten über Kriege in der Welt, ... wir haben Sorgen, die müssen
verarbeitet werden, und das geht nicht an einer lauten Straßenkreuzung, sondern
wir brauchen eben Momente der Stille,
... zumindest nachts brauchen wir Stille, und auch einmal über den Tag,
in den Ferien, am Wochenende, - eine Wanderung in die Natur, ich bin sicher,
dass kennen alle Hörer dieser Sendung, - dass, wenn uns etwas betrübt, ärgert,
beschäftigt, wenn wir dann einmal in Stille, in Muße, darüber sitzen, wandern
oder brüten, kommt schon eine Lösung, aber dazu brauchen wir diese Momente.
Sprecherin:
Stille
bedeutet mehr als die Abwesenheit von Lärm. Es ist ein eigener Raum, der sich
auftut, ein Ort der Entspannung, des Loslassens und Neufindens. Ein Ort der
Begegnung mit sich selbst, und mit anderen. Aber es muss dort nicht immer leise
im akustischen Sinne zugehen.
Da man
Stille als Geräuschlosigkeit, als Totenstille deuten könne, plädiert Gerald
Fleischer für das Wort Ruhe als Gegenbegriff zu Lärm.
Gerald
Fleischer, O-Ton:
Ruhe sollte
man nicht verwechseln mit Stille. Stille heißt man hört nichts oder fast
nichts, das ist sehr bedrohlich, wenn man einmal in einen schalltoten Raum
kommt, Studenten – ich gehe regelmäßig mit denen – die drehen durch. Manche
nach Sekunden halten es nicht mehr aus und laufen weg, weil das Hörsystem Alarm
schlägt, d.h. man muss sorgfältig unterscheiden zwischen Ruhe und Stille. Ruhe
ist beispielsweise eine schöne Einkaufszone, oder man macht Urlaub am Meer, man
hört die Wellen und die Möwen, die Leute und Kinder lachen – das sind teilweise
Messwerte, die sind höher als an der Autobahn, und die Leute sagen, wir haben
einen ganz tollen Urlaub am Meer gemacht, es war wunderbar, d.h. wir müssen die
Ruhe wieder so zur Geltung bringen, wir müssen sie schützen und das bedeutet,
dass wir um die Botschaft, um die Information nicht herum kommen.
Sprecher:
Fleischer
spielt hier auf das ganze Dilemma der amtlichen Lärmerfassung und –messung an.
Nicht der Bote – sprich der Schall – sollte beurteilt werden, was gegenwärtig
geschieht, sondern die Botschaft, d.h. die Frage, ob wir es mit einem angenehmen oder unangenehmen
Geräusch zu tun haben. Lärm, so Fleischer, kann gar nicht gemessen werden,
sondern immer nur Schall. Wenn Schall als Lärm empfunden wird, schließt dies
immer eine Bewertung ein. Menschen genießen zum Beispiel eine laute
Silvesterfeier, um sich anschließend über einen tropfenden Wasserhahn so
aufzuregen, dass sie nicht einschlafen können.
Sprecherin:
Naturwissenschaftliche
Messung und menschliche Empfindung sind also zwei völlig disparate Register.
Hinzu kommt, dass die technische Messeinheit Dezibel keine physikalische
Maßeinheit wie Meter oder Sekunde darstellt, sondern ein logarithmisches
Verfahren, was selbst unter Fachleuten
Verwirrung stiftet. Am meisten aber werden Anwohnerproteste in Lärmzonen dadurch abgewiegelt, dass man in
abenteuerlicher Weise zeitweilige Spitzenwerte an Lärm mit geräuscharmen Phasen
zu einem sogenannten Mittelungspegel verrechnet.
Sprecher:
Es ist so,
als würde der Kellner dem Gast eine kochende Suppe vorsetzen mit dem Hinweis,
hinterher gäbe es einen eiskalten Nachttisch, so dass die
Durchschnittstemperatur des Menüs stimme.
Aber man
isst die Suppe als Suppe, den Nachtisch als Nachtisch. D.h. übertragen: Lärm
und Stille sind keine Quantitäten, sondern Qualitäten, die sich nicht
miteinander verrechnen lassen.
Sprecherin:
Lärm ist
nicht mit Lautstärke gleichzusetzen ebenso wenig wie Stille mit
Geräuschlosigkeit. Lärm zersetzt den Rhythmus, der die Musik durchatmet. Wir
selber sind, woran der Zeitforscher Karlheinz Geissler erinnert, mit unserem
Blutkreislauf rhythmisch organisiert. Deshalb empfindet man den lauten
Wellenschlag des Meeres durchaus als ruhig und entspannend. Der Mensch schwingt
sich gleichsam ein, er fühlt sich mit seinem eigenen Rhythmus aufgehoben in dem
größeren der Natur.
Meeresrauschen,
Wellenschlag, Wind, Möwen, dann
Sprecher:
Gibt es
Ruhe und Stille demnächst nur noch in den Reservaten des Urlaubs, in den
Tagträumen der Aussenseiter?
Gerald
Fleischer hat sehr konkrete Vorschläge an die Adresse der Politik:
Gerald
Fleischer, O-Ton:
Ich
würde Lärmquellen nicht verbieten, man müsste sie aber bündeln, d.h. entlang
der großen Fernstrassen, entlang der Eisenbahnen, um die Flughäfen herum, die
wird es immer geben in einem hochindustrialisierten Land, und das soll auch
nicht abgeschafft werden, aber man sollte langfristig sorgen, dass dort niemand
zu wohnen gezwungen ist, ... man könnte Handwerksbetriebe ansiedeln, und man
brauchte gar nicht kleinlich sein, mit der Lärmbekämpfung, denn die im Auto
vorbeifahren, die hören den Lärm sowieso nicht, die machen selber genug Lärm,
und das würde Arbeitsplätze schaffen, in Ballungsräumen hat man große Probleme
Handwerksbetriebe anzusiedeln aus Lärmgründen, warum weil man versucht die
Wohnbesiedlung und die Lärmerzeuger zu durchmischen, und das geht einfach
nicht, wenn Lärm daran beteiligt ist. Es gibt positive Ansätze, zum Beispiel
... wird jetzt die ICE-Strecke von Rhein-Main nach Köln gebaut, die läuft
entlang der Autobahn, das ist sehr sinnvoll, nur sollte man noch einen Schritt
weiter gehen und sagen, dann könnte man die Hundedressurplätze, die Schießplätze,
die Tennisplätze, alles was es da gibt, alles dorthin setzen und dafür andere
Bereiche ruhig erhalten.
Sprecherin:
Lärm zu Lärm
– so könnte man Fleischers Idee pointieren. Aber sein Lösungsvorschlag setzt
ein überregionales Verkehrskonzept und eine langfristige Stadt- und
Landschaftsplanung voraus. Wenn man an die vielen Häuser und Wohnnutzungen
entlang der Lärmbänder denkt, so weiß man: hier wären enorme Kosten fällig,
wollte man die Anwohner langfristig umsiedeln. Bis heute sind jedoch die staatlichen
Ausgaben für Lärmbekämpfung äußerst gering.
Stephan Marks:
Stephan Marks, O-Ton:
Wenn
wirklich die Bevölkerung vor dem Lärm geschützt werden soll, dann brauchen wir
erheblich mehr Anstrengung. Wenn ich einmal schaue, was bisher ausgegeben wird,
für den sogenannten Lärmschutz ausgegeben wird, dann kommt pro Bürger pro Jahr
eine Zahl heraus, die ist einstellig. Also nicht einmal 10 DM wird pro Bürger
ausgegeben pro Lärmschutz.
Sprecher:
Das sind
minimale Beträge. Immer noch drückt man sich an der Erkenntnis vorbei, dass
Lärm eine Umweltverschmutzung ersten Grades darstellt. Die negativen
Auswirkungen auf Mensch und Gemeinschaft sind enorm. Direkte Schädigungen der
Gesundheit lassen sich in einer komplexen Umwelt, die eben kein Labor ist, nur
schwer herausdestillieren. Aber selbst das Umweltbundesamt rechnet in einer
Studie hoch, dass allein in Deutschland jährlich mehr als 2000 Menschen an
lärmbedingtem Herzinfarkt sterben. Damit wäre Lärm nach dem Rauchen der
zweitwichtigste Risikofaktor für Herzinfarkt.
Sprecherin:
Die
psychischen Wirkungen des Lärms, den Stress, kann jeder, der in einer lauten
Strasse, in der Nähe von Autobahn, Flughäfen oder Eisenbahntrasse wohnt, im
Selbstexperiment feststellen. Tagsüber, solange man frisch ist und ausgeruht,
vermag man dem Lärm in der Umgebung standzuhalten, ihn gleichsam zu
neutralisieren. Aber nach einer anstrengenden Arbeit, am Abend, wenn sich das
Bedürfnis nach Entspannung nachdrücklich meldet, reagiert der Körper allergisch
auf Lärm. Man flüchtet instinktiv ins Hausinnere, schließt selbst im Sommer die
Fenster, obwohl Balkon oder Terrasse zum Verweilen einladen. Erst recht leidet
der Körper, wenn sein Schlaf immer wieder gestört wird. Wut kommt auf, die
dumpfen Ohnmachtsgefühlen weicht. Denn der Lärm ist ein übermächtiger,
ungreifbarer Gegner – das Flugzeug dröhnt unerreichbar über den Köpfen, der
vorbeidonnernde LKW kehrt wie im Alptraum hundertfach wieder. Und die nicht endende Autokolonnne stellt die
größte Armee, die die Menschheit jemals gesehen hat. Wie andere Armeen in der
Geschichte, verheert sie die Landschaften, die sie durchquert.
Sprecher:
Inzwischen
haben aber auch viele Betroffene ihre Ohnmacht abgeschüttelt und sich gegen den
Lärmterror organisiert. Zahlreiche Bürgerinitiativen, Aktionsgemeinschaften und
Interessengruppen sind entstanden und haben ihrerseits dem Lärm den Kampf
angesagt. Die meisten fordern wie Gerald Fleischer:
Gerald
Fleischer, O-Ton:
Ruhe sollte
als schützenswertes Rechtsgut ins Umweltrecht. Und zwar deshalb, weil erst dann
die Ruhe verteidigt werden kann, bislang ist es so, dass wenn irgendwo die Ruhe
dann kommt, dann klagt irgendjemand dagegen – im deutschen Umweltrecht gibt es
den Begriff der Ruhe nicht, den gibt es nur in Sonntagsreden. Und das geht zum
ersten Verwaltungsgericht und das sagt: was es nicht gibt, könnt ihr nicht
haben, und damit basta, ende. Und das ist die Gefahr, die jetzt droht,
beispielsweise am Frankfurter Flughafen, die einen versprechen die Nachtruhe
und die anderen sagen, das prozessieren wir hinweg, denn was es nicht gibt, das
könnt ihr nicht haben, und daher glaube ich, dass es wichtig ist, die Ruhe als
schützenswertes Rechtsgut und als Begriff zu definieren, und ins Umweltrecht
aufzunehmen, auf dass man sie verteidigen kann. Und derzeit kann man das eben
nicht und nur Dezibel rauf und runter, in einer weltfremden Art und Weise, die
mit Umweltschutz nichts zu tun hat, daher die Forderung: nicht immer und
überall Ruhe, aber die Ruhe als schützenswerten Begriff ins Umweltrecht als die
Abwesenheit von akustischem Abfall, den man definieren kann: Straßen, Autos usw
und nicht als Messwert, und dann sollte man versuchen, langfristig über die
Planung Ruhe durchzusetzen, die Lärmquellen zu bündeln und die Ruhe zu
verteidigen, dort wo Leute wohnen und wo sie sich in Ruhe erholen wollen.
Sprecherin:
Man kann die
Ruhe nicht machen, wohl aber Voraussetzungen schaffen und sich um Orte kümmern,
wo Situationen der Ruhe und der Stille eintreten können. Daran hapert es zumal
in den großen Städten, wie der Zeitforscher Karlheinz Geissler, der an der
Bundeswehrhochschule in München lehrt,
auf Reisen beobachtet hat.
Mir fällt
zum Beispiel auch in Köln sehr deutlich auf, dass immer mehr Menschen in die
Kirchen gehen - besonders in die grandiose Kölner Kathedrale - immer mehr Leute
für fünf, für zehn Minuten sich hinsetzen, um dieser Hektik, die draußen vor
dem Dom stattfindet, zu entfliehen. Die beten nicht, die sind auch
möglicherweise gar nicht kirchlich gebunden, sondern die sitzen da, um Ruhe zu
genießen, um Ruhe zu haben, von dieser Hektik abschalten zu können – und genau
das ist doch ein Zeichen dafür, dass das auf unseren Plätzen, in unseren
Städten gar nicht mehr möglich ist, Ruhe zu haben. D.h. also an unsere
Kommunalpolitiker appelliert: ‚Versucht eine Platzkultur zu entwickeln, die
eine Zeitkultur möglich macht, in der man auch einmal still sitzen und
kontemplativ sein kann, und wo man nicht in die Kirchen abgedrängt sein muss,
um irgendwann einmal Ruhe zu haben vor der Hektik einer Stadt.’ - Das finde ich
ganz wichtig, dass die Politiker Räume schaffen, in der auch öffentlich Ruhe
möglich ist.
Sprecher:
In Paris hat
man einen Teil des berühmten alten Friedhofs Montmartre mit einer
Schnellstrasse überbaut. – das symbolisiert den Zustand unserer Kultur: nicht
einmal den Toten lässt man ihre Ruhe, geschweige denn den Lebenden.
Sprecherin:
Forderungen
gegenüber der Politik trefffen aber nur die eine Seite des Problems. Die andere
Seite sind wir selbst, hier stellt sich die Frage nach dem eigenen Verhalten.
Karl Karst:
Karl
Karst, O-Ton:
Es ist
ebenfalls von Bedeutung, dass jeder für sich, in seiner Wohnung diese
Notwendigkeit des Pausemachens, auch von akustischen Erlebnissen, vollzieht und
mit der Möglichkeit sich zu entspannen verbindet.
Das ist vor
allen Dingen wichtig in der Phase der Erziehung kleiner Kinder. Wenn Eltern
hier nicht verantwortlich reagieren und klarmachen: ‚Liebe Kinder, wenn ihr von
der Schule kommt, wenn ihr vom Spielen kommt, dann setzt euch erst einmal einen
Moment hin. Kommt zu euch selber.’ – Das Zu-sich-selber-kommen ist ein
Phänomen, das nur in Ruhe geschehen kann. Wenn ich Kinder direkt vor den
Fernseher setze, oder wenn ich nach Hause komme, und mir direkt ein Medium
zuführe - Fernsehen, Hörfunk oder eine CD, was auch immer - dann setze ich die
Impulsintensität fort, die ich draußen hatte. Es gibt mittlerweile viele
Menschen, die es gar nicht mehr anders können, weil dieser permanente
Nervenreiz zu einer Gewohnheitssituation geführt hat. Das sind dann fast schon
Krankheitszustände, wenn ich nicht mehr in der Lage bin, mich in einer ruhigen
Umgebung aufzuhalten.
Sprecher:
Musik ist
immer auch Ausdruck ihrer Zeit. Im Techno hallt eine kühle hochtechnisierte
Welt wider. Der Takt der Maschine, ihr rastloses Stakkato hat den Rhythmus des
Organischen abgelöst. Im Techno gibt es kein Innehalten, keine Pause, keine
Ruhe mehr – das Stück heißt Running – vorwärts immer weiter, ohne Verschnaufen.
Tempo im Takt, den das Schlagzeug den Körpern einpeitscht. Vorwärts in eine
andere Welt, in der wir selbst verwandelt sind.
Sprecherin:
Techno
unternimmt eine musikalische Metamorphose des menschlichen Wesens, und zwar den
Versuch, sich in einen Cyborg, in eine Menschmaschine, zu verwandeln, um
endlich in dieser hypermobilisierten, hochdynamischen Welt Schritt halten zu
können. Dazu hat Techno eine Wesenshälfte des Menschen amputiert - alles Kontemplative, Stille, jedes Verweilen und
Nachsinnen wird abgeschnitten. Nun regiert allein totale Dynamik, pulsierende
Energie, die mit wummernden Bässen Luft und Leiber durchdringt.
Sprecher:
Techno ist
Flucht nach vorn, - man will sich die äußere Energie einverleiben, den Lärm
durch eine Musik bannen, die ihn an Dynamik noch überbietet.
Es gibt aber
auch eine entgegengesetzte Tendenz. Viele suchen die Erfahrung der Stille in
einer Spiritualität, die Europa verlorengegangen ist. In fernöstlichen Kulturen
und Religionen gibt es sie noch. Das Franziskaner-Kloster Dietfurt im bayrischen
Altmühltal zum Beispiel lädt zur Zen-Meditation nach buddhistischem Vorbild
ein. Die Teilnehmer des Kurses sitzen und schweigen. Zen – so Pater Johannes –
bedeutet Sitzen in Stille.
Pater Johannes, O-Ton:
Zunächst
muss ich betonen, dass dieses Sitzen in Stille nicht machbar ist, nicht
herstellbar ist, nicht verfügbar ist, so ohne weiteres, das hätten wir modernen
Menschen gerne, den Knopfdruck und dann ist absolute Stille da, man kann es
nicht machen, - man kann es mitgestalten von der Leibarbeit her, auch vom
ganzen Bewusstsein her, - Bewusststein heißt, ich sitze in dem Bewusstsein da,
dass die Ruhe schon da ist, ich muss sie nicht machen, ich muss sie nur kommen
lassen, ich muss nur einschwingen in diese Ruhe, so wie die Buddhisten sagen,
du trägst die Buddha-Natur schon in dir, oder wie wir Christen sagen, wir sind
Kinder Gottes, und wenn ich in diesem Bewusstsein sitze, dann muss ich nichts
mehr machen, dann kann das Sitzen sehr leicht werden, so wie eine schwingende
Präsenz, sich selbst gewahr werdende schwingende Präsenz, etwas Wunderschönes
... aber wie gesagt: man kann es nicht machen, es braucht viel Arbeit an sich
selber, um sich dann in diese Stille hineinzulassen, hinein fallen zu lassen.
Sprecherin:
Der
westliche Mensch denkt auch Stille und Ruhe in Kategorien des Herstellens und
Machens. Damit verfehlt er um so gründlicher das, was er sucht.
Die
europäische Neuzeit hat eine bestimmte Seite im Menschen überentwickelt, die
vita activa, d.h. Wille, Leistung, Produktivität. In diesem geschichtlichen
Prozess hat sich der Gegenpol mehr und mehr aufgelöst, die vita contemplativa
wurde verpönt als Faulheit, Müßiggang und Nichtsnutz. Zur Vita contemplativa
gehören jedoch Ruhe und
Nachdenklichkeit, stille Versunkenheit, das buchstäbliche Sein-lassen-können
der Welt und des anderen.
Sprecher:
Der Lärm
entspringt der übersteigerten vita activa. Die Energie, die der westliche
Mensch in hektischem Übermaß freisetzt, schlägt als lärmiges Echo auf ihn
zurück. Um Stille wiederzufinden, reicht es deshalb nicht, sich in asiatischer
Meditation zu üben. Fernöstliche Geistigkeit lässt sich nicht importieren und
dem hyperaktiven Westen aufpfropfen. Ein neues eigenes Gleichgewicht zwischen
vita activa und vita contemplativa, zwischen lautem äußeren Tun und innerer
Ruhe gilt es zu finden. Martin Heidegger nannte es Gelassenheit. Die Sehnsucht
danach ist beim Einzelnen groß, doch unsere Gesellschaft insgesamt ist von
diesem Wege weiter entfernt denn je.
Musik: