Gespräch
mit Manfred Frank am 27.1.91
Manfred Köhler:
Herr Frank,
Sie kommen von der Literaturwissenschaft und
von der Philosophie her, Sie haben sich dann in Ihrem Werdegang mit der
deutschen Philosophie, also vor allem mit der Philosophie der Romantik, der
Hermeneutik der Romantik, und mit der französischen Philosophie der
Gegenwart, dem sogenannten Post- oder Neostrukturalismus, beschäftigt. In
Anbetracht all dieser Spannungsfelder, in denen Sie sich bewegen und zu deren
Vermittlung und produktivem Gespräch Sie einiges beigetragen haben, - Ihre
vielen Vorlesungen zum Beispiel, die als Bücher erschienen sind - was bedeutet
da für Sie heute philosophieren?
Manfred Frank:
Ich bin von
Natur, wenn ich so sagen darf, wobei ich mit Natur meine das Traditionsgemisch,
aus dem man hervorgeht, nicht unbedingt zur Philosophie gekommen.
Ich hatte
eigentlich vor - aus einer starken
Neigung für die Natur, nicht für die Naturwissenschaft, sondern für die Natur,
ich bin Bergsteiger und Felskletterer, und das war die in meinem ganzen Leben
alles andere erdrückende Leidenschaft - ich wollte unter den Umständen
eigentlich weder Philosophie noch Germanistik studieren. Ich war von der Schule
tief abgestoßen, sowohl von der Literatur wie auch von der Philosophie. Ich war
der Meinung, Philosophie machen im Leistungskurs diejenigen, die für hartes
Arbeiten in Chemie oder Physik untüchtig sind.
Ich hatte
einen guten Jugendfreund, der bei Gadamer gehört hatte, und Psychologie
studiert hat, der riet mir dringend, es doch noch einmal mit der Philosophie zu
probieren.
Gleichzeitig
war mir klar, da ich über die Liebe zur Natur und zur Gesteinswelt eine gewisse
vage Vorliebe für Novalis hatte, auch für Schelling, für die Naturphilosophie,
daß mich gewisse Regionen der Literatur interessieren würden. Das war die Romantik.
Und in der Romantik spielte sich das ab, was mit meiner privaten Leidenschaft,
dem Klettern, am heftigsten koinzidierte, die Naturliebe. So hatte ich Novalis
aussortiert und bin in die Romantik hineingeraten.
Nun war in
Heidelberg die Philosophie durch Gadamer vertreten, eine Philosophie, die ich
so gar nicht meinte, die mich aber rasch in ihren Bann gezogen hat, indem ich
merkte, daß die Philosophie anders ist als das, was ich an der Schule
verachtete, und anders auch als das, was ich als Feindbild aus der Abrichtung,
die wie Erziehung ist, mitbekommen hatte und kam also in die Philosophie und
die Literaturwissenschaft hinein.
Peter Leusch:
Sie kamen
dann in eine ganz bestimmte Philosophie hinein, Gadamer war ja doch der
führende Kopf der philosophischen Hermeneutik und hat damit die Nachkriegszeit
hier in Deutschland geprägt. Gadamer hat einmal selbst gesagt über die
Hermeneutik: "Hermeneutik ist ein Wort, das die meisten Menschen nicht kennen
werden und nicht zu kennen brauchen. Aber sie sind gleichwohl von der hermeneutischen Erfahrung
betroffen."
Was ist denn
nun Hermeneutik?
Manfred Frank:
Die
Hermeneutik ist eine relativ neue philosophische Erscheinung, die etwas zu tun
hat mit dem Zusammenbruch der Überzeugung, daß es unbefragt letztgeltende
Überzeugungen geben kann. Und der Zusammenbruch der höchsten Gewißheiten hat
sich spätestens Ende des 18. Jahrhunderts abgespielt, das hat zu tun mit der
Romantik, von der ich gerade eben sehr biographisch und diffus erzählt habe.
Und die
Romantik ist ein sehr vielgesichtiges Phänomen, eine ihrer Leistungen war die
Universalisierung der Hermeneutik. Und Universalisierung der Hermeneutik meint
die Überzeugung, daß sich nichts mehr von selbst versteht, daß über das, was
angelblich schlechterdings gilt, nur noch über Verständigungsprozesse
Eintracht zu erzielen ist, daß über die letzte Begründung der Geltung von
Sätzen kommunikativ befunden werden muß. Das ist der Grundimpuls von Friedrich
Schleiermacher, dem jetzt sogenannten, auch von Gadamer so charakterisierten
Erfinder der Hermeneutik.
Wir müssen
tatsächlich in das Sich-Unterhalten aller mit allen eintreten, um zu wissen,
was gilt. Das ist die Geburtsstunde der Hermeneutik, der Krisis eines signifié
transcendentale, wie Derrida das nennt, also eines Sinns, der transzendental,
präkommunikativ erzeugt würde, und dem alle durch innere Intuition oder durch
Introspektion sich zu unterwerfen hätten. Wir müssen den Verlust dieser höheren
Wahrheit kompensieren unter Anhänglichkeit an die alte Vernunftdefinition
durch Hinübergehen in das Sich-Verständigen-über, und das heißt ja Hermeneutik.
Manfred Köhler:
Derrida -
und das wäre ja einer der Vertreter, die man, aus einer gewissen Verlegenheit
heraus, Poststrukturalisten nennen könnte, wobei sich natürlich Derrida und
andere dagegen verwahren würden und verwahrt haben, - das ist der andere
Strang bei Ihnen: diese Entgegensetzung und das Suchen auch nach Gemeinsamkeiten
und Differenzen zwischen der romantischen Hermeneutik und der
postrukturalistischen Gegenwartsphilosophie in Frankreich. Da gibt es
Ähnlichkeiten und Unterschiede, und Sie haben sich ja darum bemüht auch zu
zeigen, inwieweit diese Formen doch sehr radikaler Vernunft- und
Subjektivitätskritik in Frankreich heute, schon sich finden lassen eben in der
Frühromantik.
Manfred Frank:
Ich habe
irgendwann einmal eine Aufforderung bekommen für die "Philosophische
Rundschau" eine Rezension einiger Derrida-Bücher zu schreiben. Ich habe
Derrida gelesen, ich habe alle möglichen Affekte gegen ihn gehabt,
Unverständigkeit, Inkonsistenz, usw., antisubjektivistische Überzeugung; je
weiter ich las, merkte ich - Sie müssen sich den Stand der Sekundärliteratur
im Jahr 1975 vorstellen, jetzt ist es sehr leicht, ich hoffe auch dank mir
selbst, darüber anders zu urteilen als damals - aber ich hatte das Gefühl, daß Derrida ein
Verteidiger der Vieldeutigkeit und der Unabschließbarkeit des Verständigungsgeschehens
war. Es ist eine seiner Facetten und sicher eine, die bei aller Skepsis gegen
meinen Ansatz Derridas Kopfnicken nach sich zöge. Und dann habe ich gesehen,
daß Derrida auf eine gewisse Weise die Hermeneutik vor dem Totalitarismus des
Sinnstiftens schützt, und daß er damit eine romantische Intuition
authentischer zum Ausdruck bringt als unsere deutschen Hermeneutiker, die das
Verstehen für die Beendigung einer vorübergehenden Ratlosigkeit hinsichtlich
der Sinnfindung charakterisieren, einer Ratlosigkeit, die abgeschlossen
werden kann. Und daß sie nicht abgeschlossen werden kann, wußte schon
Schleiermacher, und neue Gründe dafür, sie für unabschließbar zu halten, hat
man bei Derrida lesen können.
Peter Leusch:
Sie haben
jetzt von sich selbst her sehr genau charakterisiert mit welchen Vermutungen,
vagen Ansichten, Meinungen und Vorurteilen man sich an eine neue Strömung in
Frankreich heranmacht oder ihr zunächst einmal einfach gegenübertritt.
Sie hatten,
als Sie einmal moderierten im Pariser Goethe-Institut, geschrieben, daß dort
die meisten philosophisch interessierten Hörer Hans-Georg Gadamer aus
Deutschland nicht kannten, Jacques Derrida, ihren französischen
Poststrukturalisten, aber auch nicht.
Hat sich das
eigentlich geändert oder ist das immer noch Symptom einer Debatte, eines
Gedankenaustauschs zwischen Deutschland und Frankreich, der immer noch nicht
stattgefunden hat?
Manfred Frank:
Es ist
zwischen diesen beiden Ländern, die Nachbarländer sind und die sich so ganz
besonders schlecht kennen, vieles ganz schief gelaufen. Die Diskussion zwischen
Gadamer, als dem lebenden Landesrekordinhaber in Hermeneutik, und Derrida, dem
interessantesten Anarchisten und irgendo auch Antistrukturalisten, - dieses
Gespräch war eine große Katastrophe. Es zeigte, daß das wechselseitige
Nichtverstehen die Einsicht war und auch die Enttäuschung war, die Teilnehmer
an diesem Kolloquium erleben mußten. Und für mich war es interessant zu sehen,
daß es sich nicht so darstellte, als wenn niemand Gadamer kennte in Paris,
während ihn in Heidelberg und Deutschland jeder kennte, sondern es war so, daß
man in Paris auch Derrida nicht kannte. Derrida, wurde mir klar, ist auch
innerhalb von Frankreich kein national verbreitetes Phänomen gewesen, sondern
eine sehr kleine Fraktion...
Peter
Leusch:(Zwischenbemerkung):
Er ist immer
noch nicht Sartre.
Manfred Köhler:
Und er wird
es nie sein, weil er viel zu hermetisch ist.
Manfred Frank:
Genau.
Manfred Köhler:
Hermeneutik,
die Offenheit der Verständigungsprozesse, von denen Sie sprachen, - der
Anarchismus Derridas geht ja sehr viel weiter, und zumehmend hat er ja dann in
seinen Texten sich in eine Hermetik zurückgezogen, so daß er natürlich
irgendwie einem weiteren Publikum dann auch in keiner Weise zugänglich wäre.
Sie setzen
sich mit dem sogenannten Neostrukturalismus auseinander, aber Sie sehen ihn
schon sehr in der Perspektive der Frühromantik und der Hermeneutik,
mittlerweile scheinen Sie es zu versuchen, diesen Neostrukturalismus selber
noch einmal überwinden zu wollen, insofern nach Nietzsches 'Gott ist tot' der
Ruf der Neostrukturalisten Vom 'Tod des Menschen', "Das Denken in der
Leere des verschwundenen Menschen'; stattdessen möchten Sie ja doch irgendwie
noch wieder etwas geltend machen auch gegen diesen Poststrukturalismus, gegen
diese Dezentrierung des Subjekts, setzen Sie einen anderen Begriff und
verbinden mit diesem Begriff etwas, was erhaltenswert, rettenswert wäre,
nämlich Individualität, Individuum.
Manfred Frank:
Das war das
Thema, das den roten Faden durch alle meine Schriften geschlungen hat, ob die
über die Romantik gingen, über den Neostrukturalismus oder über die
Hermeneutik.
Ich glaube,
daß auch heute, unter Bedingungen der Postmodernität oder der unsicher
gewordenen Verständigungsverhältinisse, Subjektivität ein Posten ist, der
erhaltungswürdig ist, Und um das zeigen zu können, mußte ich natürlich,
einerseits - ich sage es einmal so äußerst simplifiziert - mit Derrida zugeben,
daß nach Hegel Subjektivität problematisch geworden ist, und zweitens mußte ich
zeigen, daß Subjektivität in einer bestimmten Gestalt anrüchig und verdächtig
geworden ist, aber nicht in jeder. Und das hat mich unter den Druck gesetzt,
ein Subjektivitätskonzept zu entwickeln, das im mainstream der modernen
Philosophie unterentwickelt worden ist, daß aber Subjektivität als Subjekt der
unendlich offenen Verständigungsbewegung aushebt, hinsichtlich deren die
Hermeneutik und der Neostrukturalismus irgendwo konvergieren.
Peter Leusch:
Die Attacke
gegen den Subjektbegriff, in der philosophischen Tradition auch von Nietzsche
her, der ja dann auch die Franzosen befruchtet hat, - wies erst einmal darauf
hin, daß in der Neuzeit, der Mensch in dieser Position des Subjekts sich der
Welt gegenübergestellt hat, bei Descartes. Damit hat sich ein ontologischer Riß
ereignet: der Mensch tritt der Welt gegenüber und auf der anderen Seite sind
dann die widerständigen Objekte, die Gegenstände, d.h. diese Position hat ihn
auch in eine Entfremdung von der Natur gebracht, deren Folgen wir erst heute
in vollem Umfang erfahren.
Ich meine
also, diese Entfremdung, die in dem Subjektbegriff drinsteckt, diese Anmaßung
des Menschen auch, einen Platz gegenüber der Welt, gottgleich also, einzunehmen,
dagegen richten sich erst einmal die Attacken, das war der Angriff des Strukturalismus
, der sich dann Antihumanismus nannte, was aber nicht Inhumanität meinte,
sondern eine Attacke auf solch einen problematischen Anthropozentrismus.
Manfred Frank:
In der Tat
hat der Subjektgedanke eine solche Rolle in der Naturverachtung und
Naturunterdrückung gespielt, und darüber haben uns erst Nietzsche, dann
Heidegger, und trotz aller Verachtung gegen Heidegger in einer durchaus
vergleichbaren Weise, auch die Kritische Theorie der ersten Generation, also
Adorno und Horkheimer, wichtige Aufschlüsse geliefert.
Die
Entwicklung der Philosophie besteht in der Entwicklung einer Einsicht, die die
Menschen vor der Übermacht der Natur sichert, schützt. Das Wissen war entgegen
der Selbstdefinition der Philosophie, von ihren Anfängen nie wirklich nur
interesselos, sondern ein Verteidigungswissen gegen die Übermacht der Welt.
Bei
Descartes führt der Gedanke der Subjektivität und der ihr eigenen
Selbstgewißheit zu einem Dualismus, wonach die einsichtigen Tatsachen dem
Subjekt zuzuschlagen sind, und der Gegenstand, worauf Subjektivität sich
bezieht, die Welt ist.
Da wird ein
Subjekt-Objekt-Schema etabliert, wonach einsichtig die Subjektivität und
uneinsichtig die Objektivität ist. Alles was auf der Seite der nicht
selbstpräsenten Tatsachen zu zählen ist, ist die Natur, und auf die Natur darf
ein Subjekt hemmungslos eindreschen. Das hat zum Beispiel zu der Auffassung
geführt, daß die Natur eine Maschine ist, der Bewußtsein zu unterstellen
vollkommen sinnlos ist. Bei Descartes findet sich der Satz, daß der Mensch sich
zum "Maitre et possesseur de la nature" aufschwinden soll, also zum
Herrn und Meister der Natur, ohne alle Hemmungen.
Bei Bacon
heißt der Satz: "Wissen ist Macht", d.h. die in der Subjektivität
ausgebildete Form der Selbstversicherung führt auch zu einem
Beherrschungswissen...
Peter Leusch:
Und Kant
lädt die Natur "vor den Gerichtshof der Vernunft".
Manfred Frank:
Allerdings
mit einer erheblichen Modifikation, indem er der Natur eine Teleologie, d.h.
eine Ausgerichtetheit auf die Subjektivität unterstellt, die mindestens eine
Region der Natur, die Organismen, aus dem Beherrschungswissen wieder
aussortiert.
Und was bei
Fichte geschehen ist, ist eigentlich eine Infragestellung des
Subjekt-Objekt-Schemas.
Subjektivität
wurde in der Tradition vorgestellt als eine Selbstvergegenständlichung: einer
denkt, und einer wird gedacht. Fichte hat gezeigt, daß Selbstbewußtsein kein
Fall von Selbstvergegenständlichung ist, denn ich kann in dem von mir Gedachten
mich nur erkennen, wenn ich mich vor der Vergegenständlichung schon hatte. Es
ist, wie wenn Sie vor einen Spiegel treten würden und behaupten würden, Sie
würden, wer oder was Sie sind, aus dem Spiegelbild kennenlernen. In
Wirklichkeit können Sie sich aus dem Spiegel als Sich nur erkennen, wenn Sie
sie sich vorher schon erkannt hatten.
Manfred Köhler:
Aber die
avancierte Subjektkritik, z.B. eines Derrida, die geht doch eigentlich weiter.
Es geht ja auch bei Sartre darum, daß das Subjekt getragen ist und
vorangetrieben wird in seinem Selbstvollzug durch den Willen zur
Selbstverfügung, durch den Willen zum Selbstbesitz.
Und Sartre
ist ja selber noch einmal, praktisch wie er sein Leben vollzogen hat, auch als
Intellektueller, ein Beispiel für ein Subjekt, das eine ungeheure
Selbstmächtigkeit zu entwicklen suchte, dabei gleichzeitig immer wissend, daß
dieser Versuch der Selbsttotalisierung, des Sich-Selbst-in-Besitz-Nehmens immer
gestört wird, zerschlagen wird, - diese Zerschlagungen, von denen er selber
spricht, natürlich immer wieder überboten werden, solange man lebt, überboten
werden durch Synthetisierungen.
Es geht ja
eigentlich bei dieser Subjektkritik um eine Kritik am Selbstverfügungsanspruch,
am Anspruch, sich seiner selbst gewiß zu sein, ja autark zu sein. Das ist ja
dann noch mehr.
Manfred Frank:
Aber das ist
die Karikatur der Subjektivitätstheorie, die eine Zeitgenossin des Idealismus
gehabt hat, nämlich die Romantik. Nach meiner Überzeugung, die aber keine
subjektive Meinungsbekundung ist, sondern die sich philologisch nachweisen
läßt, ist die Romantik die erste Epoche gewesen, die den Autarkieanspruch des
Subjekts bestritten hat, ohne die Existenz von Subjektivität zu bestreiten.
Der große
Fehler, die Katastrophe in der Wirkungsgeschichte der Romantik scheint mir zu
sein, daß bei Nietzsche und vor allem aber bei Heidegger, die Subjektposition
insgesamt pauschal abgelehnt wird, ohne daß man sieht, daß es
Subjektpositionen gegeben hat, die die entscheidende narzißtische Kränkung
gegen Descartes und Kant mitvollzogen haben, ohne Subjektivität aufzugeben.
Das war eben die Nichtverfügung des Subjekts über den Sinn der Welt.
Und ich
versuche, was durch die reale nicht-stattgefunden-habende Verständigung unter
gewissen Denkern der Moderne stattgefunden hat, ich versuche diese
Verständigung nachträglich herzustellen, indem ich zeige, daß in der
Frühromantik Positionen bereits bezogen waren, die man erst sehr spät zur
Kenntnis genommen hat, einfach weil die Texte nicht publiziert waren.
Und diese
unauffällige Position, die keine Schlagzeilen macht, das ist kein populärer
Posten für Kulturjournalismus, für die mache ich mich stark.
Peter Leusch:
Ich sehe da
aber zwei Bestimmungen bei Ihnen, Ihres Versuchs der Rekonstruktion von
Subjektivität von der Romantik her. Der ersten Bestimmung würde ich zustimmen:
Subjektivität ist etwas Irreduzibles. Es gibt da ein Moment von Freiheit, was
immer wieder in uns wirksam wird, was jede Schließung von Ordnung, jeder
Verhärtung auch in uns selbst, entgegenwirkt, und uns immer wieder öffnet, und
auch die Welt immer wieder öffnet.
- Eine
zweite Bestimmung, in der Sie Subjektivität doch als eine Art von Verfügung,
nicht mehr über die Welt wie das große Vernunft-Ich, aber, indem das Individuum
die Instanz der Deutung ist von Welt, so etwas wie eine Verfügung über den
Sinn von Welt oder über den Sinn von Sein, um es einmal heideggerisch
auszudrücken, und das scheint mir wiederum eine sehr konstitutive Position von
Subjektivität zu sein, womit auch die alten Belastungen und Überforderungen
wieder hereinkämen.
Manfred Frank:
Das glaube
ich deswegen nicht, weil ich das Big-Brother-Subjekt von Descartes bis Kant
einlade, ein bißchen von dem hohen Roß herabzusteigen und als Individuum sich
zu fassen. Ein Individuum ist ein unverwechselbares Subjekt, von dem es keine
zwei gibt. Wenn das so ist, dann kann ein als Individualität gefaßtes Subjekt
auch nicht mehr auf die Vorstellung, auf die Idee kommen, monologisch den
Gesamtsinn der Welt in sich repräsentieren zu können.
Das war ja
der Ursprung der romantisch-hermeneutischen Demütigung des modernen
Super-Subjekts. Das Subjekt stellt nicht mehr in sich monologisch die Wahrheit
der Welt dar, sondern nur noch einen Aspekt vom Verständnis der Wahrheit.
Dieser Aspekt, diese Perspektive auf das, 'was die Welt im Innersten zusammenhält'
muß mit vielen anderen Deutungen dessen 'was die Welt im Innersten
zusammenhält' in hermeneutischen Wettstreit treten. Wenn der Sinn etwas ist,
was durch die Subjekte der Welt widerfährt, dann müssen die Subjekte
untereinander als Individuen, unverwechselbare Einzelne, mit anderen
Individuen sich darüber verständigen, was denn hier kommunikativ vertretbar
ist.
Peter Leusch:
Ich würde
Sie gerne noch fragen, ob Sie sich als eine romantische Subjektivität
empfinden.
Manfred Frank:
Die Romantik
ist so verfilzt mit mißlungenen hysterischen Selbstdeutungsprozessen der
Deutschen über ihre kulturelle und nationale Identität und die realexistierende
Romantik ist so fernab des Konsensfähigen in Deutschland, schon wegen der
Nichtgrenzziehung zwischen Literatur und Philosophie: daß der Stil permanent in
die Philosophie hineinredet, daß beim Genuß des Romans permanent philosophische
Theorien dazwischenreden - das sind Phänomene, die in der breiten deutschen
Meinung nicht sehr erfolgreich gewesen sind.
Wenn Sie
mich scherzhaft fragen, ob ich mich für einen überlebenden Romantiker halte,
würde ich sagen, das Lob trifft mich zu hart und zu unverdient, aber ja,
insofern ich an einem Schnittpunkt arbeite, der nicht sehr konsensfähig ist:
Ich
versuche, darauf aufmerksam zu machen, daß wir uns miteinander unterhalten
müssen, nicht weil wir je immer schon verständigt sind, sondern weil wir es nicht
sind. Wir wissen eben nicht, hinsichtlich wessen wir übereinstimmen, und
deswegen müssen wir uns kommunikativ darüber unterhalten. Das wird zu
Konsensusbildungen führen, die permanent neu angreifbar sind, jedes Individuum,
das von sich das Gefühl hat, nicht einbegriffen zu sein, in diesen angeblich
machthabenden Konsens, kann Widerspruch anmelden, bzw. wird sich jenseits des
Konsensus befinden.
Dieser
Konsensus hat nie die Form einer gleichschaltenden und pluralitätstötenden
Einheit. Darum ist es auch töricht zu glauben, daß eine Konsenstheorie
unanarchistisch ist. Die Rhetorik läßt manchmal fürchten, daß in den Diskurs
nur eintreten darf, wer vorher alle individuellen Ansichten und Meinungen und
Idiosynkrasien abgelegt hat, der also sozusagen ein Mensch im Sinne von
Sarastro ist: "Wen solche Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht ein
Mensch zu sein!" - das ist nun gerade nicht die romantische
Subjektivität, die beim Auflegen der Zauberflöte in einen Lachkrampf geriet,
von dem die Tieckschen Komödien besonders gute Zeugnisse sind. Diese Art von
aufklärerischem Universalismus war in ihr total suspekt. Die haben sie durch
eine anarchische Subjektivitätstheorie ersetzt, wonach nur gilt, hinsichtlich
dessen alle sich überzeugen können, und da hat Schleiermacher gezeigt, daß das
ein unendlicher Prozeß ist, daß dieser Zustand nie gerinnt in eine
Menschheitsüberzeugung.