Futuristische Atmo

Filmmusik: The Blade Runner, Main titles

 

Sprecherin:

Komplizierter Tests und Techniken bedient sich der Spezialpolizist, der Blade Runner im gleichnamigen Science-Fiction-Film. Denn er jagt so genannte Replikanten, künstliche Menschen, die von den natürlichen im Aussehen nicht mehr zu unterscheiden sind. Die Replikanten sind an Intelligenz und körperlicher Stärke ihren menschlichen Schöpfern sogar überlegen. Nur ihre Emotionalität ist unterentwickelt. Als biotechnische Wesen ohne Kindheit und Jugend fehlt es ihnen an elementaren Erinnerungen, die ein Gefühlsleben tragen.

 

Futuristische Atmo

Filmmusik: The Blade Runner, Main Titles – Forts.

 

Sprecher:

Der Film Blade Runner, einer der wenigen ernsthaften Science-Fiction-Filme durchkreuzt das simple Gut-Böse-Schema, lockt den Zuschauer in eine Welt der Irritationen, streut Hinweise aus, dass die Hauptfigur, der Blade Runner, vielleicht selbst ein Replikant ist. Alle Gestalten des Films sind auf der Suche nach sich selbst, stehen vor dem Rätsel ihrer Existenz. Und die Ausgangsfrage nach dem Fremden, also wer oder was ein Replikant sei, kehrt sich beunruhigend gegen den Zuschauer selbst: Was ist eigentlich der Mensch?

 

Sprecherin:

Das Motiv des künstlichen Menschen durchzieht die gesamte Kulturgeschichte: Golem, Pandora, Homunkulus und Frankenstein, Androiden und Roboter – seit der industriellen Revolution vervielfachen sich jedoch die Namen und Geschichten, das Thema hat offensichtlich an Bedeutung gewonnen. Vollends brisant wird es in der Gegenwart. Denn angesichts der gentechnologischen Forschungserfolge, der rasanten Entzifferung des menschlichen Genoms rückt die Gestalt des künstlichen Menschen aus dem Raum des Mythos in den Bereich technischer Machbarkeit.

 

Sprecher:

Die Replikanten rücken uns im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leib. Heute stehen die biologische Natur des Menschen ebenso wie seine Würde zur Disposition. Die neue Debatte um den Umgang mit Stammzellen, die in Großbritannien geplante Freigabe der Embryonenforschung, liefert den aktuellen Hintergrund.

 

Sprecherin:

Der Wunsch, die großen Krankheiten wie Aids oder Alzheimer zu überwinden, treibt die Menschen dazu, Ängste und ethische Bedenken beiseite zu schieben und in ihrem Selbstexperiment fortzufahren. Mächtige ökonomische Interessen sind ein weiterer Motor. Nun hat auch noch eine rasch wachsende Gruppe das Wort ergriffen, die zu einer ideologischen Offensive bläst. Sie  hat die Utopie des perfekten Menschen auf ihre Fahnen geschrieben hat: Max More, ihr philosophischer Bannerträger, erklärt:

 

Sprecher:

 „Die Humanität, das Menschsein, ist nur eine Durchgangsphase auf dem Pfad der Evolution. Wir sind nicht der endgültige Höhepunkt in der Entwicklung der Natur ... Es wird Zeit, dass wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen und unser Fortschreiten in die Transhumanität beschleunigen.“

Deshalb ruft Max More die Menschheit auf: „Lasst uns unsere alten Formen sprengen! Hinweg mit unserer  Unwissenheit, unserer Schwäche, unserer Sterblichkeit. Die Zukunft gehört uns.“

 

Sprecherin:

Max More, 37 Jahre alt, in Oxford promovierter Philosoph, ist ein Vordenker dieser Bewegung. Eigentlich heißt er Max O’Connor. Mit dem Künstlernamen More also Mehr hat er sich gleich selbst auf das Programm der Steigerung des Menschen getauft. In Südkalifornien gründete er in den späten achtziger Jahren das Extropy-Institut, von wo die Bewegung ausging. Zur Phalanx der Vordenker gehören Marvin Minsky, der Vater der künstlichen Intelligenz-Forschung, Außenseiterwissenschaftler wie Eric Drexler, der Begründer der Nanotechnologie, oder Hans Moravec, dessen Studien um Roboter und intelligente Maschinen kreisen.

 

Sprecher:

Ihre Gedanken und Konzepte zur Perfektionierung des Menschen fasst man unter dem Sammelbegriff Transhumanismus. Man will die Grenzen des biologischen Menschen, was Sinne, Intelligenz und Lebensspanne angeht, überwinden und mittels Wissenschaft und Technik ein verbessertes transhumanes Wesen schaffen.

In den letzten beiden Jahren hat die Bewegung nach Europa übergegriffen. 1998 konstituierte sich auch eine deutsche Gesellschaft für Transhumanismus. Der Münchener Diplomphysiker Frank Prengel ist ihr Vorsitzender:

 

O-Ton, Frank Prengel:

Wir sind ein Zusammenschluss von Leuten, die sich interessieren für neue Technologien, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und deren Anwendung im Zusammenhang der Verbesserung der Lebensumstände des Menschen, mit der Verbesserung des Menschen als solchem.

Wir bestehen hauptsächlich aus relativ jungen Leuten, Studenten, angehenden oder aktiven Wissenschaftlern, Informatikern, wir kommunizieren hauptsächlich über das Internet, per Mailinglist, per Email, per Chat, und Newsgroups.

 

Sprecherin:

Das Hauptkommunikationsmittel, mit dem man sich an die Öffentlichkeit wendet, bildet die Webside im Internet. Hier werden die Ideen des Transhumanismus in allen Aspekten ausführlich dargestellt und erläutert, wie man sich gegen den klassischen Humanismus abgrenzt.

 

O-Ton, Frank Prengel:

Wir sind natürlich wie der Humanismus auch interessiert an menschlichem Fortschritt, an Mitmenschlichkeit, an Wohlergehen, wir möchten positive Kommunikation, wir sind aber – was uns vom klassischen Humanismus unterscheidet – definitiv der Auffassung, dass die Weiterentwicklung des Menschen möglich und auch wünschenswert ist, und wir möchten diese Weiterentwicklung mit Hilfe des rationalen Einsatzes von Wissenschaft und Technik  möglich machen, das bedeutet unter anderem die Verzögerung oder gänzliche Abschaffung der Alterungsprozesse, die Erhöhung der Intelligenz und sämtliche Verbesserungen und Erweiterungen der Kapazitäten des Menschen, seien es psychische oder physische.

 

Sprecher:

Die Sehnsucht des Menschen, von Leid und Krankheit erlöst zu werden, ewige Jugend zu erlangen und  den Tod zu überwinden, -  diese Wünsche sind so alt wie die Menschheit selbst. Auch wenn der Traum vom ewigen Leben sich nicht erfüllt, mindestens der Traum selbst scheint unsterblich. Vormals wandte sich die menschliche Sehnsucht vor allem an die Religion, um dort Erlösung zu finden. Heute richtet sich Hoffnung vor allem an Wissenschaft und Technik. Diese sollen dem Menschen nicht nur in seiner Gebrechlichkeit beistehen, sondern ihn endlich in ein perfektes Wesen verwandeln. In der Hauptsache sind es junge Naturwissenschaftler und Informatiker, auffallend wenig Geisteswissenschaftler, die die Ideen des kalifornischen Vordenkers Max More aufgreifen und  hierzulande propagieren.

 

Sprecherin:

Eines der kursierenden Zauberworte lautet Nanotechnologie. Unter Nanotechnologie versteht man ganz allgemein technologische Prozesse, die zum Beispiel bei der Chipherstellung im Submikrometerbereich stattfinden. Der Transhumanismus knüpft aber spezieller an eine so genannte molekulare Nanotechnologie an, wie sie Eric Drexler schon 1987 in seinem Buch Engines of Creation, zu deutsch Schöpfungsmaschinen entworfen hat:  

 

O-Ton, Frank Prengel:

Die Konzepte, die Drexler damals entwickelt hat, beruhen auf den sogenannten Nano-Assemblern, das sind mikroskopisch kleine Maschinen, im Submikrometerbereich, die die Eigenschaft haben, die Materie Atom für Atom, Molekül für Molekül bearbeiten zu können, um auf diese Weise sämtliche Produkte, die man sich vorstellen oder wünschen kann, zusammenzusetzen. Diese molekulare Nanotechnologie birgt ... speziell in Bezug auf den Menschen das Potenzial in der Medizin eingesetzt zu werden, das geht in Richtung Nanomedizin, was bedeuten würde, solche Nanomaschinen gezielt auf Zell- und Molekülebene im Körper einzusetzen, um dort auf Molekülebene gewissermaßen zu heilen, d.h. Molekülfehler, die bei der Zellteilung passieren, zu reparieren, Krebszellen zu bekämpfen, direkt vor Ort in der Zelle, oder jegliche andere denkbare Modifikation vorzunehmen, das birgt ein ungeheures Potenzial und die molekulare Nanotechnologie als Nanomedizin, darauf setzen wir große Hoffnungen, auch was die Verzögerung der Alterungsprozesse und ähnliche Dinge angeht.

 

Musik:

All the molekules , 1. Sequenz ( von der Gruppe: Einstürzende Neubauten)

 

Sprecher:

Eric Drexlers Nano-Assembler sind Zukunftsmusik. Aber die Formulierung, man werde imstande sein – wörtlich -  „die Materie Atom für Atom mit Hilfe nanometergroßer Maschinen nach unseren Vorstellungen umzubauen“ - wie es auf den Web-Seiten der Transhumanismusgesellschaft heißt – ein solches Projekt kommt einer zweiten Schöpfung gleich. Die Transhumanisten wollen das, was Gott bzw. die Evolution geschaffen hat, Stück für Stück durchgehen und wenn nötig noch einmal neu fabrizieren, aber besser. Ihr Anspruch qua Nanotechnologie  „vollständige Kontrolle über die biochemischen Reaktionen in unserem Körper zu ermöglichen, und ... uns somit erlauben, jegliches Leiden zu beseitigen“ – beansprucht die alten Versprechen der Religion im Diesseits einzulösen.

 

Sprecherin:

Nach zwei hundert Jahren Erfahrungen mit Technik, wo jede große Errungenschaft früher oder später ihre Schattenseiten zeigte, verwundert diese neue Welle ungebrochener Fortschrittsgläubigkeit und Technikeuphorie.

 

Musik:

All the molekules , 2. Sequenz ( von der Gruppe: Einstürzende Neubauten)

 

O-Ton, Michael Saxer

Die Menschheit wird ... eines Tages in ihr Erbgut eingreifen und ... sich selber durch genetische Veränderung eine Lebensspanne aneignen, die ein Vielfaches vom Heutigen beträgt. Denn es ist einfach nicht einzusehen, die Menschen fliegen mittlerweile durchs Weltall, die Menschen haben Computer und technischen fortschritt usw. Aber nach 70, 80 oder 100 Jahren wird einfach noch gestorben, wie animalisch, wie in der Tierwelt, und das wird die Menschheit eines Tages ändern, die Frage ist nur, wann sie das ändern wird. Wird sie das in fünfzig oder 100 Jahren ändern, dann ist es für uns zu spät, dann leben wir nicht mehr, aber wenn das in 20 oder 30 Jahren schon gelingen wird, dann wird ein Großteil der heute lebenden Menschen davon noch profitieren können, und das ist die Hoffnung, die wir haben.

 

Sprecher:

Michael Saxer erklärt, schon als Kind habe ihn die Frage umgetrieben, wie man den eigenen Tod verhindern könne. Zusammen mit anderen hat der Programmierer und EDV-Organisator in Rheinland-Pfalz den Verein FALK gegründet. FALK ist die Abkürzung für Förderverein für Alternsforschung, Lebensverlängerung und Kryonik. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Molekularbiologie und Gentechnologie ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Denn diese Wissenschaften enthielten, so der Verein, die Möglichkeiten, das Leben des Menschen entscheidend zu verlängern, ja sogar langfristig die biologische Todesschranke selber zu überwinden.

 

Sprecherin:

Dagegen erhebt der Kölner Biologe Mark Benecke Einspruch. Benecke, der sich jüngst in dem Buch Der Traum vom ewigen Leben mit dem Thema Tod beschäftigt hat, führt biologische Einsichten ins Feld. Selbst wenn man die für den Alterungsprozess verantwortlichen Gene identifiziert habe, dürfe man sie nicht ausschalten. Gerade die zu bekämpfende Krebszelle liefere – ex negativo - den Beweis, wie notwendig, ja sogar wertvoll Prozesse des Sterbens auf zellulärer Ebene seien.

 

O-Ton, Mark Benecke:

Krebszellen sind relativ dumme Zellen, aus biologischer Sicht, sie haben nämlich diese Sterblichkeit verloren, das ist passiert genau dadurch, dass einzelne Teile, einzelne Abschnitte der DNA, die dafür sorgen, dass die Zellen altern und sterben, ausgeschaltet werden - interessant ist, dass das verschiedene Bereiche sein können, die dazu führen, und man hat sogar schon ein paar Gene gefunden bei anderen Tieren, die man tatsächlich ausknipsen kann, im wahrsten Sinne des Wortes, knock out nennt sich das, es ist nichts anderes wie wenn man einen Lichtschalter ausknipst, und die Tiere leben dann tatsächlich genau zweimal, dreimal, oder genau viermal so lange wie sie vorher gelebt haben. Es gibt also jede Menge Schalter auch beim Menschen, und wenn man die alle nacheinander ausschalten würde, dann würden die Menschen auch auf zellulärer Ebene immer weiter leben, das Dumme ist nur, dass es keine Ordnung mehr gäbe, das Sterben ist nämlich nicht nur auf der Ebene des Menschen notwendig, sondern auch auf der Ebene der Zellen, das billigste Beispiel dafür ist, dass man als Embryo Schwimmhäute hat, die man als erwachsener Mensch aber nicht haben möchte, also müssen diese Zellen sterben, ... Krebszellen können das nicht mehr, deswegen führt es dazu, dass sie andere Zellen, andere Organe behindern, und das ist auch der Grund, warum das Ganze aus dem Fugen gerät, denn wenn alle Zellen nur noch an sich und an ihr Überleben denken, dann kann kein vernünftiges Zusammenspiel mehr gewährleistet werden.

 

Sprecher:

Gentechnologie, wo man sie gewähren lässt, ist zu Monströsem fähig. Sie vermag tatsächlich an die Baupläne des Lebens zu rühren. Insofern sind die Ansichten und Pläne der Transhumanisten oder des Vereins FALK um Michael Saxer nicht als realitätsferne Utopie oder bloße Science-Fiction abzutun. Auch in den Wissenschaften ist man offensichtlich vom Tempo der eigenen Entwicklung überrascht. Pointiert gesagt: Die Menschheit weiß heute noch nicht, was sie morgen imstande ist, mit sich anzustellen.

 

 

Sprecherin:

Der Direktor des Max-Planck-Instituts für neurologische Forschung in Köln, Konstantin-Alexander Hossmann,  Leiter der Abteilung für experimentelle Neurologie erläutert die rasante Veränderung des Forschungsstandes. Noch im Juni letzten Jahres hatte man bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms gerade einmal drei Prozent entschlüsselt. Und jetzt sei, für die Forschergemeinde selbst überraschend, das gesamte Projekt schon zum Abschluss gebracht worden. Hossmann, der selber mit  dem Studium des Krankheitsbildes Schlaganfall beschäftigt ist, schildert welche revolutionären Perspektiven sich daraus für sein Forschungsgebiet ergeben.

 

O-Ton,  Konstantin-Alexander Hossmann:

Mit den neuentwickelten Chips, die zur Analyse von Genen und Genprodukten eingesetzt werden, ist es möglich bis zu 30.000 Genen oder zehntausende verschiedene Eiweißstoffe gleichzeitig zu messen. Man kriegt also eine ungeheure Anzahl von Daten, die darüber Auskunft geben, ob in einem Krankheitsprozess dieses oder jenes Gen in dieser oder jener Weise beeinflusst worden ist. Und durch den Vergleich des gesunden mit dem kranken kann man herausfischen, welche Gene möglicherweise eine Rolle für den Krankheitsprozess ausüben.

Wir fangen jetzt gerade an mit einem durch die Europäische Kommission geförderten Initiative, wo acht Laboratorien in Europa sich zusammengetan haben, um mit der neuen Technologie die Moleküle zu identifizieren, die für die indirekten Störungen beim Schlafanfall eine Rolle spielen könnten. Es ist ein Riesenaufwand, ein großes Unternehmen, das überhaupt nur durch die bei der Genomforschung entstandenen methodischen Fortschritte und natürlich auch die inhaltlichen Erkenntnisse, die dabei gewonnen worden sind, möglich geworden ist. Es ist eine Revolution in der Medizin.

 

Sprecher:

Trotz der rasanten Entwicklung der Gentechnologie ist mittelfristig weder zu hoffen noch zu fürchten, dass sie den Menschen die ewige Jugend schenkt oder gar den Tod abschafft. Deshalb setzen die Mitglieder des Vereins FALK in ihrem Wunsch nach Unsterblichkeit auf eine andere Technik – die Kryonik. Unter Kryonik versteht man die Einfrierung des Leichnams in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad. Wie weiland die Pharaonen sich mumifizieren ließen, um in diesem Zustand ihre eigentliche ewige Existenz zu finden, so soll die Kryonik den modernen Menschen gleichsam im Tod vor dem Tode bewahren und ihn für eine spätere technische Wiederauferstehung konservieren.

 

Sprecherin:

Bislang gibt es in Deutschland weder technische Einrichtungen für das kryonische Verfahren noch ist es juristisch als Bestattungsform anerkannt. Die Anhänger der Kryonik kämpfen für deren Anerkennung und ereifern sich moralisch auf ihrer Webpage:

 

Sprecher:

„Die kryonische Bestattung wird etwas ganz Selbstverständliches sein, ja man wird eines Tages den Kopf darüber schütteln, dass man seine Verstorbenen früher einmal einfach in der Erde verwesen ließ oder verbrannte.“

 

Sprecherin:

Aber wie soll man sich – kühl und sachlich nachgefragt -  das kryonische Verfahren genau vorstellen. Michael Saxer:

 

O-Ton, Michael Saxer

Flüssiger Stickstoff hat eine Temperatur von minus 196 Grad Celsius. Und bei dieser Temperatur finden kaum noch chemische Prozesse statt, also keine biologischen Zerfallserscheinungen mehr. Und die Hoffnung ist jetzt, dass man unmittelbar nach seinem Ableben, man sagt innerhalb von 24 Stunden nach dem biologischen Tod – wenn innerhalb von 24 Stunden das Gehirn in diesem flüssigen Stickstoff gelagert wird, dass dann die Persönlichkeitsstrukturen, die erwiesenermaßen im Gehirn gespeichert sind, im Gehirn sitzt unsere ganze Identität, Persönlichkeit, Erinnerung, unser Ich sitzt im Gehirn, das was uns als Individuum ausmacht, sitzt im letztendlich in dieser 1,5 kg Gehirnmasse, und wenn es gelingt, innerhalb von 24 Stunden nach dem biologischen Tod dieses Gehirn in flüssigen Stickstoff konservieren zu lassen, dann kann das Gehirn darin Jahrhunderte überdauern, ohne dass es weiter zerfällt, und die Hoffnung ist eben, wenn die Wissenschaftler in ein oder zweihundert Jahren so weit sind, dass die Lebensspanne deutlich verlängert werden kann, dass dann dieses Konservierte Gehirn wieder zu normaler Körpertemperatur zurückgebracht werden kann, und dann in einen Körper eingebaut werden kann und dass man so praktisch weiterleben und diese Zeitspanne überbrücken kann.

 

Lied:

Redukt (von der Gruppe: Einstürzende Neubauten) 1. Strophe

 Meine Hände, meine Arme, meine Beine, mein Körper, mein Kopf

Und ich, das unveränderliche, unzerstörbare, Selbst – Ich.

Der Mittelpunkt, der Kern, der Zellkern der gesamten menschlichen Zellkultur

Bin ich ist Ich in jeder Zelle

 

Sprecherin:

Warum sollte unser Ich, unsere Persönlichkeit nur im Gehirn sitzen? Besteht denn das Bewusstsein, der Geist nur aus drei Pfund Hirnmasse, die man einfrieren und wiederauftauen kann? Um sie anschließend in einen neuen Anzug sprich: Körper zu stecken, nachdem man den alten abgelegt hat.

 

Lied:

Redukt (von der Gruppe: Einstürzende Neubauten) Fortsetzung

Wohl kaum ist Ich die Summe des genetischen Materials

Als wäre die Musik im Schaltplan des Radios

Gibt es Überflüssiges oder Festgewordenes, das sich abstreifen lässt

Das sich abwerfen lässt wie Ballast, wie Sandsäcke aus einem Freiballon.

Schicht für Schicht Epidermis und Lederhaut

Faser, Muskeln, Sehnen, Fleisch, Kapillare, Venen, Adern, Festgewebe, Nervenbahnen, Knochenmark, Gebein.

.... jedoch, jedoch, jedoch, jedoch ...

 

Sprecher:

Die eingefrorenen Leichname erinnern an Untote aus Horrorfilmen. Beruhigend ist jedoch, dass ein Biologe wie Mark Benecke, der aufgrund seiner gerichtsmedizinischen Arbeit eingehend mit Tod und Leichen zu tun hat, widerspricht. Er nimmt nicht an, dass sich immer mehr Menschen in kryonische Zombies verwandeln lassen. Ganz einfach deshalb, weil das Verfahren der Kryoniker nicht funktioniere:

 

O-Ton, Mark Benecke:

Die Ursprungsidee war, man erhält den Körper so wie er ist, denn der eigene Körper gefällt einem meistens, so halbwegs, der soll dann so wieder auferweckt werden, wie die Leute, die Bibellegungen ganz wörtlich nehmen. Aber man sieht ... dass das nicht richtig funktioniert, da gibt es immer Temperaturschwankungen, und im Gewebe bilden sich Eiskristalle, das Gewebe geht in Wirklichkeit kaputt und wird ganz matschig, so richtig klappt es nicht.

Was man jetzt versucht, im nächsten Schritt, im Zeitalter der jetzt stark aufkommenden Humangenetik im Sinne moderner molekularer Humangenetik, zu gucken, ob man nicht einfach Körperteile einfriert, aber sich gar nicht für den Körper in seiner Form interessiert, ... da war zum Beispiel ein Sonderangebot - da konnte man den Kopf einfrieren lassen für 20.000 Dollar, der ganze Körper hat 80.000 Dollar gekostet.

 

Sprecherin:

Kryoniker und Transhumanisten teilen den Glauben an die Allmacht der Technik. Denn im Szenario der Wiederbelebung spielen die noch zu bauenden Nanoassembler Drexlers eine entscheidende Rolle. Die Kleinstmaschinen, die im atomaren Mikrobereich operieren, sollen jene Schäden an den Gehirnzellen reparieren, die in den ersten Stunden nach dem Tod und beim Vorgang des Einfrierens entstanden sind.

 

Sprecher:

Die Wiederauferstehung des Menschen, die bisher der Religion überantwortet und für das Jenseits verheißen wurde, wird nun an die Technik delegiert und ins Diesseits verlegt. Aber da die Zaubermaschine Nanoassembler nur einen Wunschtraum darstellt, wenden sich die Kryoniker genau wie die Transhumanisten begeistert der Gentechnologie und ihrer Schöpfermacht zu: d.h. dem Klonen. Mark Benecke kommentiert die Entwicklung.

 

O-Ton, Mark Benecke:

Da sieht man schon in welche Richtung das geht, ... dadurch, dass man eine Erbsubstanz DNA so leicht aufbewahren kann, man braucht sie nur auf ein trockenes Stück Papier in einen Schrank zu tun, da hält sie sich ewig. Und wenn man sie auch noch einfriert trocken, dann hält sie sich Jahrzehnte und vielleicht sogar Jahrhunderte, es ist ein ganz stabiles Molekül, das man aus einem Gefäß ziehen kann, das kann man berühren, es ist wirklich stabil, - deswegen war die Überlegung: wir nehmen aus dem eingefrorenen Gewebe einfach die Erbsubstanz, spritzen sie in eine Eizelle ein, lassen die Eizelle in irgendeinem Körper oder künstlichen Gebärgebilde zur Entwicklung bringen.

Man fragt sich natürlich, welchen Sinn das haben soll: Warum soll ich einen Klon von mir selber machen, der nur aus einem Stück Erbsubstanz von mir besteht, denn das Problem dabei ist, das werde nie wieder ich: meine ganze Sozialisierung, alles was ich gesehen, erlebt, gelernt habe in meinem Leben, wird diese Person anders sehen und erleben, es wird einfach jemand anders werden, und das schlimmste: die andere Person weiß nicht einmal davon, dass es die eine gab, und die alte Person weiß erst recht nichts von der neuen Person.

 

Sprecherin:

Beneckes Überlegungen verdeutlichen, wie naiv und undurchdacht die Vorstellungen der Kryoniker sind. Die Identität eines Menschen ist in seiner Persönlichkeit buchstäblich verkörpert, d.h. sie lässt sich nicht von seinem Leib abtrennen. Die kryonische Lösung, nur das Gehirn zu konservieren, hält an der Trennung von Geist und Körper fest, die René Descartes dem Denken der Neuzeit zugrundegelegt hat. Das Cogito, ergo sum – Ich denke, also bin ich – definiert das menschliche Subjekt als ein reines Bewusstsein, für das der Körper eine zu vernachlässigende Nebensache darstellt. Daraus resultiert eine fatale Spaltung von Geist und Körper, die noch heute die Medizin überschattet, da Krankheiten nicht als Zusammenhang von Psyche und Physis betrachtet und behandelt werden.

 

Sprecher:

Die Kryoniker würden freilich ihren Körper am liebsten behalten. Sie trennen sich nur wider Willen von ihm. Solange jedoch die große Lebensverlängerung qua Gentherapie oder durch entsprechende Medikamente nicht realisierbar ist, und solange der Körper nicht unbeschadet als ganzer tiefgefroren werden kann, nehmen sie mit der Konservierung des isolierten Gehirns vorlieb,

 

Sprecherin:

Die Kryoniker präsentieren – in modernem techno-wissenschaftlichen Gewand den uralten Menschheitstraum von ewiger Jugend. Das Individuum – so ihre Sehnsucht – möge Erlösung finden vom horror vakui, vom beständigen Schatten des Todes und der Kränkung alt und gebrechlich zu werden. Es ist ein narzisstischer Traum, der den Selbsterhaltungstrieb des Individuums gegen das Existenzinteresse der Gattung ausspielt, gegen den biologischen Kreislauf von Leben und Tod. Die Technik soll helfen, diesen narzisstischen Traum zu erfüllen. Darüber hinaus pflegen die Kryoniker ein konservatives Bild des Menschen. Sie möchten ihn verewigen, aber nicht verändern.

 

Sprecher:

Die Transhumanisten dagegen sind radikaler, sie wollen das Naturwesen Mensch überwinden,  zugunsten einer neuen biotechnischen Gestalt. Eine ihrer Losungen in diesem Zusammenhang heißt Uploading. Frank Prengel, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Transhumanismus erläutert, was sich hinter diesem Anglizismus verbirgt:

 

O-Ton, Frank Prengel:

Uploading ist der hypothetische Prozess, in dem das menschliche Bewusstsein, also die Summe aller Prozesse, die im Gehirn ablaufen .... übertragen wird, beispielsweise durch Scannen der neuronalen Struktur des Gehirns, ... auf ein künstliches neuronales Netz, auf einen künstlichen Computer, was auch immer, ... unsere Hoffnung ist, dass man auf diese Weise dieses Bewusstsein, d.h. also dieses Wesen auf einem künstlichen Medium laufen lassen kann, wiedererwecken kann, dieses würde die Entwicklungschance bedeuten, die Kapazitäten zu erhöhen, ... man könnte auf diese Weise zu einer deutlichen Intelligenzsteigerung gelangen – das ist unser erstes Ziel, das zweite Ziel ist natürlich, dass man dann in gewissen Sinne ein Backup des Bewusstseins machen könnte, wenn es uns gelänge, dieses Uploading durchzuführen.

D.h. im Falle eines Unfalls ist dieses Bewusstsein einfach erloschen, dieses menschliche Wesen ist tot, ist nicht mehr zu restaurieren, wenn man aber durch Uploading eine Kopie dieses menschlichen Bewusstseins machen könnte, hätte man die Möglichkeit dieses Wesen letztendlich wieder zu beleben.

 

Musik:

Die Menschmaschine (von der Gruppe: Kraftwerk)

 

Musik weiterhin unterlegen

 

Sprecherin:

Uploading bedeutet also, den Geist eines Menschen, sein Bewusstein, auf die Festplatte eines Computers oder in ein Netzwerk zu übertragen - ein ungeheuerlicher Gedanke. Formulierungen Prengels wie – „eine Kopie des menschlichen Bewusstseins zu machen“ oder „das Bewusstsein auf einem künstlichen Medium laufen zu lassen“ – manifestieren schon in der Wortwahl, wie menschliches Denken und digitale Technik gleichgesetzt werden. Als ob der Geist eine Festplatte sei, deren Daten man beliebig aufrufen, übertragen und erneut abspeichern könne. Hier wird das menschliche Bewusstsein wie ein Ding, wie eine Sache aufgefasst. Aber Denken ist ein lebendiger Prozess, der sich in einer Person verkörpert, und der sich in einer Situation spontan vollzieht.

 

Sprecher:

Nun könnte man gegen die Kritik einwenden, Programmierer und Informatiker bedienten sich lediglich der Termini und Bilder, die in ihrem Fachgebiet gebräuchlich sind.

Aber dieser Einwand trifft das Phänomen nicht. Offensichtlich geschieht ein Wandel in grundlegenden Auffassungen, ein Paradigmenwechsel, vergleichbar demjenigen im 17. Jahrhundert. Damals setzte sich mit dem Triumph der newtonschen Physik eine mechanistische Weltauffassung durch, die den menschlichen Körper als Maschine, als kompliziertes Uhrwerk betrachtete. Heute ist es nicht so sehr der Körper, sondern Gehirn und Geist, die nach dem Vorbild einer anderen Maschine, des Computers, und der Leitwissenschaft Informatik verstanden werden.

 

Musik:

Die Menschmaschine (von der Gruppe: Kraftwerk)

 

Sprecherin:

Je mehr sich der Mensch aber seine Maschinen zum Maßstab nimmt und sein Selbstverständnis an ihren Leistungen und Funktionen ausrichtet, desto mehr gerät er selber ins Hintertreffen. Der Philosoph Günter Anders hat dies die prometheische Scham genannt: den menschlichen Erfinder befallen Minderwertigkeitskomplexe angesichts der Leistungen seiner technischen Apparate. Sich selbst zufrieden stellen kann er dann nur in dem Maße, wie er sich mit seinen technischen Apparaten verbindet, im Ideal mit ihnen zu einer Einheit verschmilzt.

 

Sprecher:

Der Mensch verwandelt sich in eine Menschmaschine, einen Cyborg. Das ist ein Wesen, bei dem Natürliches und Künstliches, Organismus und Technik eine Symbiose eingegangen sind. Der Mensch ist zum Cyborg mutiert. Der Cyborg verfügt über neurologische Schnittstellen, implantierbare Chips und am Körper tragbare Computer, er nutzt so genannte Smart Drugs zur Leistungs- und Stimmungsoptimierung, und all das, was Gen- und Biotechnologie, in den nächsten Jahren entwickeln werden.

 

Musik:

Die Menschmaschine (von der Gruppe: Kraftwerk)

 

Sprecher:

Die Verwandlung des Menschen in einen Cyborg klingt nach böser Science Fiction, vor der wir zurückschrecken. Aber es handelt sich um einen schleichenden Prozess, der im Alltag stattfindet, z. B. in der Telekommunikation. Früher mussten wir zum stationären Telefonapparat hingehen, heute tragen wir das Handy bereits am Leib, demnächst wird vielleicht ein Minichip in den Körper implantiert, so dass Mensch und Technik miteinander verschmelzen.

 

Sprecherin:

Die Entwicklung zum Cyborg geschieht von zwei Seiten her: In der einen Richtung werden immer mehr technische Elemente in den Körper integriert - von künstlichen Gliedmaßen über implantierte Kontaktlinsen und elektronische Hörhilfen bis hin zu künstlichen Adern und  Herzschrittmachern.

In der anderen Richtung überträgt man mehr und mehr menschliche Fähigkeiten nach außen auf technische Systeme: die Greif- und Bewegungsoperationen auf Roboter, Sehen und Hören auf Kameras, Mikrophone und audiovisuelle Systeme, die Auslagerung von Denkfunktionen auf Computer. Das geplante Uploading des menschlichen Bewusstseins wäre der Schlusspunkt.

 

Sprecher:

Am Ende konvergieren beide Prozesse in einem neuen biotechnischen Wesen, im Cyborg, bei dem die Herkunft unentscheidbar bleibt: Ist es ursprünglich ein Mensch, dem Technik implantiert wurde? Oder aber eine Maschine, auf die man bestimmte menschliche Fähigkeiten übertragen hat.

 

Sprecherin:

Die Transhumanisten sprechen diese Tendenz besonders deutlich aus. Denn sie  befürworten nicht allein die Zuhilfenahme technischer Prothesen, wo die natürlichen versagen – also Brille, künstliche Gelenke, Herzschrittmacher. Sie begrüßen vielmehr die Aufrüstung oder sogar den Austausch gesunder natürlicher Organe, sofern ihnen künstliche überlegen sind: so erwägen die Transhumanisten, sich irgendwann ein künstliches Auge implantieren zu lassen, mit dem man auch im infraroten Frequenzbereich zu sehen vermag.

 

Sprecher:

In vorderster Reihe der Wünsche stehen jedoch gentechnische Maßnahmen, Medikamente oder auch Drogen, die die Kapazität des Gedächtnisses erweitern sollen.

Wie beurteilt Konstantin-Alexander Hossmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für neurologische Forschung in Köln, die Chancen einer Einflussnahme auf das Gedächtnis, von der sich die Transhumanisten so viel versprechen.?

 

O-Ton, Konstantin-Alexander Hossmann:

Ich könnte mir vorstellen, dass aus der Genomforschung neue Ansatzpunkte abgeleitet werden, wie man und in welchen Stoffwechseln oder – wie wir auch sagen – Signaltransduktionswegen, man eingreifen kann, um solche speziellen Leistungen wie etwas das Gedächtnis verbessern zu können, weil man mehr und mehr über die grundlegenden Mechanismen der Gedächtnisaquisition lernt, und auch immer genauer feststellen kann, welche Rezeptoren an den Zellen verantwortlich sind, um Gedächtnisinhalte zu konsolidieren und zu speichern, und da es möglich ist, mit Medikamenten direkt an diesen Rezeptoren auszuüben. Wird es irgendwann auch möglich sein, die Gedächtnisleistung dieser oder jener Sinne zu beeinflussen. Ob dass dem Menschen gut tut, ist eine andere Frage, denn die Hauptaufgabe des Gehirnes ist es nicht, Gedächtnis zu bilden, sondern das Nichtwichtige, das Überflüssige, die redundante Information zu unterbinden. Die Information, die das Gehirn bekommt, ist nicht zu viel, sondern ... das Hirn muss versuchen, ein Minimum der Informationen, die in das Gehirn eingespeist werden, jetzt so zu filtern, dass sie auch abgespeichert werden und nicht alles – ein Mensch, der alles, was ihm begegnet, nicht vergessen kann, würde ein sehr kranker Mensch sein.

 

Sprecher:

Eine zentrale Leistung des Gedächtnisses besteht gerade nicht in der puren ungefilterten Speicherung, sondern in der Auswahl und Strukturierung der Wahr­nehmung. Das Gedächtnis muss werten: was ist wichtig, was unwichtig, es muss die Spreu vom Weizen trennen. Deshalb gehört zur Fähigkeit des Erinnerns komplementär auch die des Vergessenkönnens hinzu. Darauf hat insbesondere Friedrich Nietzsche hingewiesen.

 

Sprecherin:

Menschliches Gedächtnis wie einen digitalen Datenspeicher nur nach seinem Speichervolumen und seiner Verarbeitungskapazität zu bemessen, offenbart eine Verkennung. Sie ist charakteristisch für die Transhumanisten. 

Während der klassische Humanismus den Menschen durch Erziehung und Bildung entfalten und veredeln wollte, setzt der Transhumanismus auf Technik.

 

Sprecher:

Den Bedenken, dass eine solche technische Umbildung des Menschen unnatürlich und pervers sei, begegnen die Transhumanisten mit dem Argument, dass Menschen nie in einem reinen Naturzustand gelebt und schon sehr früh technische Prothesen  zur Hilfe genommen hätten.

 

Sprecherin:

Doch die Transhumanisten propagieren nichts geringeres als einen Sprung in der Evolution. Der Vordenker Max More ruft dazu auf, die menschliche Natur in ihrem Kern zu verändern. So steht es in den Extropischen Grundsätzen, ein Manifest, das Max More herausgegeben hat und wie ein Computerprogramm aktualisiert; gegenwärtig gilt die Version 3.0.

Das Manifest strotzt vor Fortschrittsbegeisterung, ungebrochenem Optimismus und naiver Technikgläubigkeit, als hätte es kein Jahrhundert der Weltkriege, keine Probleme mit der Technik, kein Tschernobyl und kein Harrisburg gegeben. 

 

Sprecher:

Max More beruft sich in seiner Offensive  auf Nietzsches Wort vom Übermenschen.:„Ich lehre euch den Übermenschen“, heißt es im Zarathustra, „der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?“

 

Sprecherin:

Nietzsches Begriff des Übermenschen ist schillernd. Aber mit Sicherheit meint Übermensch bei Nietzsche nicht einen technischen Supermann. Nietzsche ging es um eine Auffassung von Menschsein, in der das theologisches Erbe überwunden ist.

 

Sprecher:

Aber wenn die Transhumanisten proklamieren, „der Mensch wird seine eigene Entwicklung steuern“ – so wiederholen sie damit eine theologische Bestimmung Gottes. Gott ist jenes souveräne Wesen, das sich selber schafft und lenkt. Der Mensch kommt – Geburt und Tod lehren es - von anderen her, zeitlebens bleibt er trotz seiner Freiheit auch auf andere verwiesen.

Der Transhumanismus bietet gerade keine Emanzipation von Religion und Theologie, sondern ihre versteckte Fortsetzung, denn er entwirft den Menschen als Prothesengott.

 

Sprecherin:

Zu einem Bild, das dem Menschen als Menschen gerecht würde, gehört aber die Einsicht, dass er nicht nur ein planendes, handelndes, entscheidendes, also ein aktives Wesen ist, sondern auch eines, das fühlt und erlebt, das mit anderen gemeinsam lebt und von ihren Handlungen betroffen – kurzum auch eine hinnehmende passive Seite hat. Diese Seite fehlt vollständig im transhumanistischen Zerrbild des perfekten Menschen.

 

Sprecher:

Michael Saxer und seine Gruppe der Kryoniker distanziert sich von dem transhumanistischen Projekt, den Menschen zu einem Cyborg aufzurüsten. Doch auch er plädiert für eine weitgehende Freigabe der Reprogenetik, also für Eingriffe ins menschliche Erbgut sowie die  Züchtung und Nutzung embryonaler Stammzellen.

 

O-Ton,  Michael Saxer

Wenn ich zum Beispiel jetzt eine kranke Leber habe, und die schaffen es, ... dass im Reagenzglas nur die Leber entsteht, durch die meine defekte ausgetauscht wird, da sehe ich überhaupt keine moralischen Bedenken, im Gegenteil, da wird kein Mensch, da wird ein Organ gezüchtet. Ich finde das ethischer noch als von einem Verstorbenen ein Organ eingebaut zu bekommen oder Druck zu machen auf Angehörige, sie sollen ihren Verstorbenen die Organe entnehmen lassen, da finde ich es sehr viel sauberer im Reagenzglas meine eigene Leber nachzubilden. Und das ist der Gedanke, den wir bei der Kryonik haben, dass wiederaufgetaute Gehirn, da soll kein lebender Mensch sterben, dass mein Gehirn eingebaut werden kann, sondern es sollen praktisch nur die Organe, der leere Körper ohne ein Gehirn, ohne dass ein Mensch jemals darin gelebt hat, denn das Gehirn ist schon da, das Gehirn ruht da im Stickstoff.  Da soll kein Mensch leben, dem das Gehirn herausgerissen wird, und meins wird eingebaut, sondern es soll ein Körper der nie eigenständig gelebt hat, der allein gar nicht lebensfähig wäre, durch diese dann praktisch möglich gewordene Form des Klonens gebildet werden, und mein Gehirn wird dort eingebaut, für uns auf den ersten Blick sehr erschreckend, denn es ist etwas Neues, aber wenn man wirklich darüber nachdenkt, ist es eine ethisch einwandfreie Sache, es ist nichts Anrüchiges daran.

 

Sprecherin:

Die Züchtung einzelner Organe klingt unschuldig und harmlos. Wer würde sich dem unbedingt verweigern? Aber Michael Saxer unterschlägt, dass der Weg dorthin über das Experimentieren mit menschlichen Embryonen verläuft. Außerdem wäre dem kryonisch konservierten Gehirn auch nicht mit einzelnen Organen geholfen. Es bedürfte doch – wenn man das makabre Szenario zu Ende denkt, eines vollständigen aber „leeren“ Körpers. Wo käme dieser her? Sollen gehirnlose Doppelgänger gezüchtet und in Reserve gehalten werden?

 

Sprecher:

Auch das Konzept der Kryoniker enthüllt bei näherer Analyse theologische Ambitionen. Endlich wäre der Mensch unsterblich und Schöpfer seiner selbst, indem jeder sich bei Bedarf einen frischen unverbrauchten Körper zulegt, um wie Phönix neu aus der Asche zu steigen.

Kryoniker wie Transhumanisten kultivieren einen alten männlichen Traum: das Phantasma der Selbstgeburt, unter Ausschaltung der Frau. Sie verweigern sich der Einsicht, dass der Mensch von anderen herkommt und zeitlebens auf deren Anerkennung verwiesen bleibt.

 

Sprecherin:

Das Argument, dass auch die Evolution immer wieder den Menschen verändert habe, das beim Streit um die Gentechnologie vorgebracht wird, trifft nicht die Ungeheuerlichkeit des Selbstexperiments.

Die Evolution hat sich sehr viel Zeit gelassen, während heute schon der dritte Schritt erfolgt, ohne die Folgen des ersten und zweiten abzuwarten.

 

 O-Ton,  Konstantin-Alexander Hossmann:

Die Evolution hat sich tatsächlich sehr viel Zeit gelassen, und was mich aus biologischer Sicht immer besonders fasziniert hat, ist, dass sie eine Lösung, eine gute Lösung, die sie gefunden hat, konserviert hat, um damit sicherzustellen, dass sie auch weitergegeben wird.

Die Natur hat selten über die Entwicklung hinweg, eine – aus der Sicht der Evolution – gute Lösung, durch eine zweite unabhängige Lösung ersetzt, das ist der Grund dafür, dass ein Großteil der Gene von den Mikroorganismen bis zum Menschen konserviert ist. Dass ein Großteil der Gene, die im Menschen den Stoffwechsel steuern, ... das bereits bei der Hefezelle tun, und dass die Aufschlüsselung des menschlichen Genoms deutlicher geworden ist, als man das je vermutet hätte, dass es eine ungeheure Konkordanz zwischen den Genen, die wir tragen, mit den Genen der aufsteigenden Tierreihe gibt. ... und eine Kombination von Genen, die bei Ihnen während der Entwicklung ein Auge kodiert, dass ein Auge entsteht, tut das auch bei der Taufliege. Das sind Homologien, die sind ungeheuer, so dass ich mir einfach nicht vorstellen kann, wenn die Natur innerhalb der Millionen von Jahren der Evolution eine Lösung, die sie einmal gefunden hat, sie mit dieser Beharrlichkeit aufrechterhält, ein einfacher Wissenschaftler schlauer sein soll, und in seinem Labor eine Lösung findet, die möglicherweise besser ist, das halte ich für außerordentlich unwahrscheinlich.

 

Sprecher:

Eine Überlegung, bei der man innehalten sollte: Vielleicht hat die Evolution schon längst jene Variante durchgespielt und verworfen, die die Gentechnologie demnächst als Verbesserung des Menschen gegen diese oder jene Krankheit anbieten wird. So wie jene Dopingpräparate, die den Menschen zwar schneller laufen lassen, aber seine Gesundheit auf Dauer ruinieren.

 

Sprecherin:

Doch die Transhumanisten offenbaren, das es längst nicht mehr um den Kampf gegen Krankheiten geht. Vielmehr um den Willen des Menschen sich zu perfektionieren, ein Projekt, das im Unmenschlichen endet. Nach einem Jahrhundert politischer Totalitarismen muss man heute die ärgste Gewalt auf einer anderen Ebene fürchten, wie Jan Ross in der Zeit schreibt: am Horizont erscheint „die totale Machtergreifung des Menschen über sich selbst“.

 

Musik

Filmmusik: Frankenstein