O-Ton und Musik:
Shame on you,
Mr. Bush
(Michael Moore’s Protestruf in Hollywood bei der
Oscar-Verleihung)
O-Ton, Noam Chomsky :
engl. Original, dt. Übersetzer
(Overvoice)
Das Konzept
des Schurkenstaates ist ein gutes Modell ähnlich wie das Konzept Terrorismus,
nur sollte man, wenn man es verwendet, ehrlich sein. Man muss sich also fragen,
was ist ein Schurkenstaat: Ein Schurkenstaat ist der Staat, der sich nicht um
internationales Recht schert, der sich selbst über alle Einschränkungen erhaben
fühlt, der Gewalt anwendet, wann immer es ihm passt. Um einen solchen Staat zu
finden, müssen wir nicht lange suchen, das umschreibt ziemlich genau die USA.
Sprecherin:
Noam
Chomsky, der amerikanische Sprachwissenschaftler, Philosoph und politische
Autor ist der schärfste Kritiker der US-Regierung. Das Schmähwort
Schurkenstaat, mit dem die Bush-Administration andere Länder belegt hat, lenkt
Chomsky wie einen Bumerang auf die USA selbst zurück. George Bush hat zum Krieg
gegen den Terrorismus aufgerufen und alle Staaten, die Terroristen fördern oder
finanzieren, zu Schurkenstaaten erklärt.
Sprecher:
Terror
verbreitet Entsetzen, seine Gräueltaten reißen Unschuldige in Tod und Verderben
– offensichtlich ist Terror unmenschlich und durch nichts zu rechtfertigen. Aber damit ist das gesamte Phänomen des Terrorismus
in seinen Ursachen und Zusammenhängen noch nicht erfasst. Der Begriff
Terrorismus wird auch polemisch gebraucht. Je nach historischer Situation und
politischem Blickwinkel werden Aufständische als Terroristen kriminalisiert oder
als Freiheitskämpfer gefeiert.
Sprecherin:
Chomsky bemüht
sich um Klarheit und hält sich in seiner Kritik an die Definition, die amerikanische
Strafgerichtshöfe formuliert haben:
Terrorismus sei eine, so heißt es in US-Armeehandbüchern wörtlich „kalkulierte
Anwendung oder Androhung von Gewalt, um Ziele zu erreichen, die ihrem Wesen
nach politisch, religiös oder ideologisch sind. Das geschieht durch
Einschüchterung, Zwang oder die Verbreitung von Furcht.“
Sprecher:
Genau solche
Handlungen habe es, so Chomsky, in der amerikanischen Außenpolitik zuhauf gegeben
und nicht erst unter George W. Bush: die amerikanischen Militärinterventionen
in verschiedenen Ländern, der Vietnamkrieg, die CIA-Mitwirkung beim gewaltsamen
Sturz Allendes in Chile, die Unterstützung der Contras in Nicaragua auf
Anweisung Reagans. Chomsky erinnert daran, dass die USA im Falle Nicaraguas vor
dem Weltgerichtshof des Internationalen Terrorismus beschuldigt wurden. Es folgte eine entsprechende
Resolution des UN-Sicherheitsrates, die die Amerikaner nur durch ihr eigenes
Veto stoppen konnten.
Musik:
Shame on you,
Mr. Bush
Sprecherin:
In seinem
jüngsten Buch mit dem Titel „Hybris“, das in diesen Tagen in Deutschland auf
den Buchmarkt kommt, diskutiert Chomsky das Vorgehen der USA im so genannten
Kampf gegen den Terrorismus, insbesondere den Präventivkrieg gegen den Irak und
seine zweifelhaften Begründungen. Übertragen
ins Deutsche hat das Buch
Nach dem er
diese ganzen Vorwände dekonstruiert hat, … und auch aufgezeigt hat, wie
widersprüchlich die Begründungen für den Irakkrieg waren, war es für ihn eine
globale Strategie, ein Moment, der neuen globalen Strategien, nämlich Hegemonie
herzustellen, und das ging im Irak besonders gut, weil vom Krieg zu erwarten
war, dass nicht allzu viel Widerstand geleistet würde, was man vielleicht nicht
geahnt hat, worauf Chomsky aber hinweist, dass es nachher sehr viel schwieriger
werden könnte, wie man jetzt ja auch sieht.
Musik:
No War No More
Sprecherin:
Auch nach
Kriegsende geht die Diskussion weiter, was die wahren Gründe für den amerikanischen
Angriff darstellten. – War es tatsächlich die Sorge vor Massenvernichtungswaffen
und neuem Terror? Oder aber der missionarische Demokratisierungseifer, wie die Neokonservativen
vorgeben? Oder war es am Ende doch das milliardenschwere Interesse am Öl?
Sprecher:
Für Chomsky
ordnen sich alle Motive einem imperialen Streben nach Hegemonie unter. Der
Hunger der Supermacht nach noch mehr Macht oder wie es im Untertitel des Buches
formuliert ist: ‚Die endgültige Sicherung der globalen Vormachtstellung der USA.’
Und das Werk beleuchtet dann, wie diese imperiale Strategie durch
weltraumgestützte Waffensysteme umgesetzt werden soll.
Sprecherin:
Noam Chomsky
diagnostiziert Macht als stärkste Triebfeder der US-Politik, wie er in immer
neuen Analysen und Recherchen enthüllt und kritisiert. Am prägnantesten
spiegelt sich seine These in einer Anekdote, die er bei Augustinus gefunden hat
und gern zitiert:
Sprecher:
Der Hl.
Augustinus erzählt die Geschichte eines Piraten, der von Alexander dem Großen
gefangen wurde. Alexander fragte ihn, wie er es wagen könne, die Meere unsicher
zu machen. ´Wie kannst du es wagen, die ganze Welt unsicher zu machen?’
entgegnete der Pirat. ‚Weil ich nur ein kleines Schiff habe, nennt man mich
einen Dieb, dich aber, der du eine große Flotte befehligst, einen Herrscher.’
Die Antwort des Piraten war, so berichtet Augustinus ‚freimütig und geschickt`.
Sprecherin:
‚Pirates and
Emperors’, ‚Piraten und Herrscher’ heißt das Buch. Die Großen und Mächtigen der
Welt – das sind heute die USA, denen die Kleinen hilflos ausgeliefert sind.
Aber die Kleinen – und darin sieht Chomsky vielleicht seine eigene Rolle als
Intellektueller - wagen den Herrschenden mitunter die Wahrheit ins Gesicht zu
sagen: Deine Macht beugt das Recht, ja sie setzt sogar selber Recht. Sie
bestimmt was gut und böse ist.
Sprecher:
Chomsky hält
den USA einen Spiegel vor, in dem ein düsteres Bild sichtbar wird. Lässt sich
eine solche Sicht aufrechterhalten? Handelt es sich um den Antiamerikanismus
eines Amerikaners?
In der
ganzen Welt liest man jedenfalls die Analysen Chomskys, und in Deutschland ist
das Interesse in den vergangenen beiden Jahren empor geschnellt.
Wolfgang Spindler, O-Ton:
Ich glaube,
das liegt sehr stark am 11. September 2001, an den Anschlägen auf das WTO, es
hat sich erwiesen im Europa-Verlag, dass dieses Buch von Noam Chomsky über den
11. September große Verkaufszahlen erreichte, und in der Folge auch ältere
Bücher von ihm, die auf deutsch schon vorlagen, aber eher ein Schattendasein
fristeten, plötzlich nachgefragt wurden.
Es zeigte
sich ein großes Interesse, wie überhaupt in den letzten 2, 3 Jahren das
Interesse des deutschen Leserpublikums an Themen aus Amerika extrem gestiegen
ist. Seit der konservativen Regierung in den USA sind die deutschen wirklich
beunruhigt. Und nicht nur die Deutschen, wir wissen, in ganz Europa hat es
Proteste gegeben, und das fördert auch den alternativen Denker, den Sprecher
des anderen Amerika, der Chomsky nun seit über 30 Jahren ist.
Sprecherin:
Der
Frankfurter Übersetzer und Publizist Wolfgang Spindler kümmert sich beim
Europa-Verlag in neuartiger Weise um die Rezeption Chomskys und die Diskussion
der brisanten Fragen. Spindler hat ein Noam Chomsky-Archiv im Internet
aufgebaut, www.chomskyforum.de - eine Online-Präsenz zu Person und Werk Noam Chomskys.
Wolfgang Spindler, O-Ton:
Der Verleger
Vito von Eichborn hatte die Idee und sagte, wir machen ein profundes Noam-Chomsky-Archiv
mit vielen Volltexten, mit sehr viel Sekundärliteratur und auch mit der
Möglichkeit, Themen von Chomsky zu diskutieren und weiter zu kommunizieren im
akademischen Bereich, im Bildungswesen. Daraufhin haben wir uns zusammengetan -
ich bin Übersetzer vom Europa-Verlag und habe eine Zusatzqualifikation als
Web-Progammierer - und so haben wir das jetzt entwickelt mit Hinblick darauf,
dass wir neue Vorab-Veröffentlichungen Chomskys für Neugierige und Presseleute
und für den wissenschaftlichen Bereich dort publizieren und ein Forum zum
Gedankenaustausch bieten.
Sprecher:
Für viele
ist es eine Neubegegnung mit Noam Chomsky. Literaturwissenschaftler und Linguisten kennen
Chomsky aus ihrem Studium. Damals galt Chomsky zwar auch als radikaler Denker,
ja sogar als Revolutionär, aber in einem
streng wissenschaftlichen Sinne.
Chomsky war der
Vater einer neuen Grammatiktheorie, die in den 60er Jahren die Linguistik
eroberte. Man musste im Linguistik-Studium - orientiert an Chomsky - Strukturbäumchen
zeichnen, Diagramme, in denen konkrete sprachliche Sätze auf ihnen zugrunde liegende generative Strukturen zurückgeführt
werden.
Sprecherin:
Die Analyse
war staubtrocken, aber der Ansatz barg eine humanistische Idee. Wollte Chomsky doch die Kreativität des
menschlichen Geistes in der Sprache offen legen und zeigen, wie man mit einem
begrenzten Set von syntaktischen Regeln unendlich viele Sprachäußerungen
hervorbringen kann. Diese sprachliche Fähigkeit betrachtete er als genetisch
angelegt, also unabhängig von dem Milieu oder der Kultur, in der jemand
aufwächst. So richtete sich sein universalistischer Ansatz gegen den
kulturellen Dünkel von Einzelsprachen, die vorgaben anderen Sprachen überlegen
zu sein.
Sprecher:
Chomsky
selber trennt seine wissenschaftliche Arbeit streng von seinem politischen
Schreiben ab. Beide Interessen reichen jedoch weit zurück in seine Biographie.
Musik:
O-Ton, Noam
Chomsky :
engl. Original, dt. Übersetzer (Overvoice)
Ich wuchs in
den 30er Jahren zur Zeit der großen
Depression auf, ich bin Jahrgang 1928, Ende der 30er Jahre entwickelte ich
intellektuelles und politisches Bewusstsein. Meine Eltern befassten sich vor
allem mit der jüdischen Kultur, mit Hebräisch usw, aber viele meiner älteren
Verwandten, meine Onkel und Tanten gehörten der Arbeiterklasse an, sie lebten in
New York, damals fast alle arbeitslos und waren in eine ganze Reihe politischer
Aktivitäten verwickelt. Einige von ihnen waren Trotzkisten, andere hat sich zu
libertären Kritikern des Bolschewismus entwickelt. Die Kultur der
Arbeiterklasse war damals sehr lebendig, man interessierte sich für Freud, das
Budapester Streichquartett und für Shakespeare. Es war eine sehr lebendige und
intellektuelle Umgebung, tatsächlich eine der anregendsten, die ich je gesehen
habe. Ich vergleiche sie ohne weiteres mit dem Harvard Faculty Club, sie schneidet
bei diesem Vergleich sehr gut ab.
Musik:
(Klezmer)
Sprecherin:
Noam Chomsky
wuchs in Philadelphia in einer Gegend auf, die von deutsch-katholischen und
irisch-katholischen Einwanderern geprägt war. Hier erlebte er nicht nur
antisemitische Äußerungen, sondern regelrechte Sympathie-bekundungen für
Hitler. Chomsky erinnert sich, dass eine Bierparty gefeiert wurde, als Paris
vor den anrückenden deutschen Truppen kapitulierte. Manches Mal mussten er und
sein Bruder nach dem Unterricht zunächst zu Hause bleiben, bis sich die heikle
Stimmung legte. Bis ihre Mitschüler nämlich die Hetzgeschichten des Vormittags
vergessen hatten und Kinder zum Ballspiel suchten. Erst mit dem japanischen Angriff auf Pearl
Harbour kippte die Stimmung radikal, und hitlerfreundliche Mitbürger
verwandelten sich beinah über Nacht in amerikanische Patrioten.
O-Ton, Noam
Chomsky :
engl. Original, dt. Übersetzer (Overvoice)
Ich lebte in
Philadelphia, als ich alt genug war, um Zug zu fahren, mit elf oder zwölf,
besuchte ich meine Verwandten in New York. Und arbeitete am Zeitungsstand
meines Onkels. Viel Zeit verbrachte ich auch mit Spaziergängen stadtabwärts in
der vierten Avenue, einer Gegend die voll mit Buchantiquariaten waren, viele
gehörten ausgesprochen interessanten Leuten und zeugten von deren Interesse.
Viele waren politisch und tatsächlich einige von ihnen libertär, etwas was mich
stark zu interessieren begann. Ich ging auch zu den Büros anarchistischer
Gruppen zur ‚Freien Arbeiterstimme’, der jüdischen Anarchistengruppe und
anderen, um Flugblätter mitzunehmen und mit den Leuten zu reden.
Sprecher:
Noam Chomsky
sympathisierte schon früh mit dem linken Flügel des Zionismus, und zwar mit einer Gruppierung, die
antistalinistisch eingestellt war. Ziel dieser Gruppierung war ein
sozialistisches binationales Palästina, wo Araber und Juden friedlich
miteinander leben könnten. Aber bei einem mehrmonatigen Aufenthalt in einem
Kibbuz in Israel, musste Chomsky enttäuscht feststellen, dass sich die Mehrheit
des linken Flügels an Moskau orientierte.
Sprecherin:
Chomsky hingegen
faszinierten Konzepte dezentraler und basisdemokratischer Selbstverwaltung von
Arbeitern, Bauern und Bürgern, er dachte an freie selbst bestimmte Kooperationen,
nicht aber an autoritär dirigierte
Kollektive. Als jüngstes historisches Vorbild
faszinierten ihn die spanischen Anarcho-Syndikalisten. Aber deren Geschichte
lieferte ihm zugleich eine bittere Lektion. Im Spanischen Bürgerkrieg waren die
Anarchisten von kommunistischer Seite genauso gehaßt und bekämpft worden wie
von den Anhängern Francos.
Sprecher:
Chomsky studierte
Sprachwissenschaft, Philosophie und Mathematik. Ihm gelang eine steile wissenschaftliche
Karriere. Schon in den späten fünfziger Jahren ging sein Stern auf, als er die
neue Grammatiktheorie entwickelte. Chomsky erhielt einen Lehrstuhl am berühmten
MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, wo eine Reihe von
Nobelpreisträgern arbeitet.
Sprecherin:
Aber Noam
Chomsky hielt es nicht im Elfenbeinturm der renommierten Universität. Ein
Krieg, den die USA im fernen Osten führten, rückte immer näher in grausigen Bildern
und Berichten, die das eigene Land in Lager spaltete und die Amerikaner
zutiefst entzweite: Vietnam.
Musik:
Jimi Hendrix: Star Spangled Banner
(amerik.
Nationalhymne, verfremdet mit Kriegsgeräuschen)
O-Ton, Noam Chomsky :
engl. Original, dt. Übersetzer
(Overvoice)
Ich
engagierte mich in der Antikriegsbewegung vor allem als Reaktion auf das, was
einige Studenten taten, die sich in den frühen 60ern zu organisieren begannen,
sie brauchten etwas, was man später Führer nannte. Leute, die nachfolgen, die
warten, bis andere das Fundament gelegt und die harte Arbeit getan haben, um
dann aufzutauchen, Reden zu halten, und ihre Bildung einzubringen, etwas wozu
sie aufgrund ihrer meist privilegierten Lebenssituation meist in der Lage sind.
Ich konnte in dieser Hinsicht etwas tun.
Es war eine
Mischung aus direktem Widerstand, Hunderten von Regenbeiträgen, Organisationstreffen
und Unterstützung der Netzwerke der Kriegsgegner. Man hatte damals noch
keinerlei Veröffentlichungsmöglichkeiten, die Bewegung war sehr isoliert, man
darf nicht vergessen, dass der amerikanische Liberalismus den Krieg kräftig
unterstützte, solange bis er den Interessen der amerikanischen Eliten
abträglich zu werden begann.
Sprecher:
Im Protest
gegen den Vietnam-Krieg reifte Noam Chomsky zum öffentlichen Intellektuellen,
wie ihn der Bostoner Soziologe Charles Derber charakterisiert. 1969 verfaßte
Chomsky sein erstes politisches Buch: Amerika und die Mandarine. Rückblickend vergleicht
Chomsky die Bedingungen von Öffentlichkeit in Amerika in jener Zeit mit denen
von heute. Damals gab es keine ausgebaute Informationstechnologie, kein frei nutzbares
Internet, wo sich kritische Geister austauschen und eine Gegenöffentlichkeit
bilden können.
Sprecherin:
Heute sind
die technischen Möglichkeiten zwar besser, aber inhaltlich beurteilt Chomsky
die modernen Medien, insbesondere die großen Fernsehsender weiterhin negativ. Im
Buch ‚Media Control’, das in diesem Jahr auch auf deutsch erschienen ist, legt
Chomsky dar, ‚Wie die Medien uns manipulieren’ – so der Untertitel des Buches.
Als kapitalistische Unternehmen seien die Zeitungen auf Anzeigen, die
kommerziellen Fernsehsender auf Werbung angewiesen. Schon deshalb gestatten sie
keine radikalen Meinungen.
Sprecher:
Anders als
in Europa hat es in den US-Medien vor
dem Irak-Krieg zwar abwägende Kommentare und viele Fragen, aber keine
grundsätzliche Infragestellung gegeben Anstatt eine wirkliche Diskussion zu
fördern, sind die Medien bemüht, zwischen Regierung, Konzernen und Bevölkerung
einen Konsens zu fabrizieren.
Manufacturing
of consent – die Herstellung von Konsens. Es ist nicht sein Ausdruck, ich
glaube er hat ihn übernommen von Walter Lippmann, einem der führenden Vertreter
eines klassischen Journalismus. … Lippmann und andere sahen es in den 20er
Jahren als Aufgabe der Medien an, für Übereinstimmung, für Konsens zu sorgen,
d. h. in den kritischen Zeiten die Bevölkerung auf die Politik der Regierung
einzustimmen. Und da sagt Chomsky, das ist im wesentlich auch das, was die
Medien in totalitären Systemen tun, nur dass es dort überhaupt keine Bandbreite
gibt, während es in den USA natürlich eine Bandbreite gibt, aber das
Meinungsspektrum darf nicht allzu groß sein, es muß ein Konsens gewahrt bleiben
und dieser Konsens zielt auf die Übereinstimmung zwischen Bevölkerung, Medien
und Regierungspolitik, so dass die Medien, auch wenn sie das selbst anders
sehen, eine vermittelnde Funktion zwischen den Massen, also der Bevölkerung und
der offiziellen Regierungspolitik einnehmen.
Musik:
Der Sheriff
(Deutsch Amerikanische Freundschaft)
Sprecher:
Aber könnte
man Chomsky nicht entgegenhalten, dass viele Äußerungen in den amerikanischen
Medien vor dem Irak-Krieg so regierungsfromm und konsensbedacht nicht waren. Wenn
man an Susan Sontags Artikel in der New York Times denkt, oder an Michael
Moores Buch ‚Stupid White Men’, eine Persiflage auf das Amerika das Georg W. Bush,
die zum Bestseller in den USA avancierte. Oder auch an seinen Film über den amerikanischen
Waffenfetischismus „Bowling for Columbine“.
Musik:
Der Sheriff
(Deutsch Amerikanische Freundschaft)
Sprecher:
Chomsky
spielt das Spiel nicht mit. Doch diese Weigerung widerspricht seiner These von
der großen Medienkontrolle. Ist nicht Chomsky selber, insofern er in Amerika Vorträge
halten und Bücher veröffentlichen kann, also keineswegs mundtot gemacht wird, ein
lebendiger Gegenbeweis in Bezug auf die Behauptung, dass allenthalten ein
Konsens erzwungen wird? Die New York Times nannte ihn den "den
bekanntesten Dissidenten der Welt".
Die Bücher
die er veröffentlicht hat, hat er sämtlich in sehr kleinen Verlagen
veröffentlicht, und er selbst sagt, dass er in den großen Medien, - und die
entscheidenden Medien in den USA sind nicht Printmedien, sondern die Fernsehsender,
die großen Networks, - dass er dort nicht so, wie es üblich ist, Auftritte
bekommt, zu irgendwelchen Abendinterviews geladen wird, und das bedeutet schon,
dass er da in einer gewissen Weise außen vor ist. Natürlich kann er auch
Rezensionen schreiben in der New York Times, und er würde von sich auch nicht
behaupten dass er völlig ausgesperrt ist, aber in einer gewissen Weise wird er
marginalisiert.
Man kann das
auch nicht mit Michael Moore vergleichen, der jetzt mit Bowling for Columbine
einen großen Erfolg hatte, weil das ja ein Film ist, der nicht über die
Networks gelaufen ist. Aber in den Medien präsent sein, heißt in den USA
vorwiegend in den visuellen Medien präsent sein, und da sieht es bei Chomsky
anders aus als bei anderen.
Sprecherin:
Gegen den
Mainstream der amerikanischen Medien recherchiert und analysiert Noam Chomsky seit
nunmehr 35 Jahren die ausgeblendeten Rückseiten der amerikanischen Politik: die
diversen Kriegseinsätze, die Aktivitäten des CIA, die Handelsblockade gegen Kuba,
die Unterstützung von Diktatoren in vielen Ländern der Dritten Welt. Viele
Menschen werfen den USA Heuchelei vor, wenn sie auf der einen Seite Diktatoren
den Kampf ansagen, während sie sich anderswo mit ebensolchen Diktatoren bestens
arrangieren, auch wenn unter deren Regime die Menschenrechte mit Füßen getreten
werden.
Angesichts einer
solchen opportunistischen Haltung dünkt nicht nur Chomsky das Motiv einer
Demokratisierung des Irak vorgeschoben und unglaubwürdig.
Sprecher:
Chomsky
beschränkt sich nicht auf die Außenpolitik. Er diskutiert die Folgen der
neoliberalen Wirtschaftspolitik weltweit, auch in Bezug auf die neuen Armen im
reichen Amerika, diese „Dritte Welt im eigenen Lande“ – wie er es nennt. Dabei
kreisen alle seine Schriften monomanisch um das Thema Macht – um Macht, die
ausbeutet, die unterdrückt und die Lügen fabriziert.
Was versteht
Chomsky eigentlich unter Macht? Wie definiert er sie?
Für ihn ist
wichtig, dass Macht immer mit Asymmetrie von Macht, mit Machtgefälle zu tun
hat. Mit einer ungleichen Verteilung von Macht. Es gibt eben Strukturen, die
Macht ausüben können, und Menschen, die Personen, die in den Strukturen
agieren, und innerhalb dieser Strukturen andere zwingen können, etwas zu tun
oder zu glauben, was diese möglicherweise gar nicht wollen.
Insofern ist
Chomsky klassischer Anarchist, seine Wurzeln sind vielfältig – sie liegen zum
einen in der europäischen Aufklärung des 18. Jhs, zum anderen aber auch im
Anarchismus. Und da gilt eigentlich – wenn man es in eine Forderung ummünzen
wollte – dieser schöne alte anarchistische Satz: keine Macht für niemand!
Musik:
Keine Macht für Niemand
(Ton,
Steine, Scherben)
Sprecherin:
Der politische
Anarchismus hat einen stark individualistischen Zug. Er rebelliert gegen alle
Formen von Herrschaft, weist Ansprüche von Institutionen oder Organisationen
zurück, die dem Individuum autoritär, von oben herab, Zwang auferlegen. Dagegen
hat der Anarchismus Vorstellungen von einer freiwilligen Assoziation mündiger
Menschen entwickelt.
Macht gilt
als etwas Schlechtes, das von außen eindringt und die soziale Gleichheit
zerstört und ein Verhältnis von Herr und Knecht errichtet.
Sprecher:
Aber reale Machtkonstellationen
lassen sich nicht in jedem Fall so einfach in Gut und Böse unterscheiden, wie
Chomsky dies vornimmt. Er schildert die Weltgeschichte als ewig neuen Kampf zwischen David und Goliath.
Kritiker haben ihm vorgehalten, dass sein Weltbild holzschnitthaft sei. Während
dem Goliath USA alles Übermächtige, Böse und Verantwortliche zugeschoben wird,
gerät der kleine David zur völligen Unschuldsgestalt.
Aber dieser
David, zum Beispiel in Gestalt irgendeiner Befreiungsorganisation, ist
vielleicht in anderer Hinsicht selber ein Goliath, insofern die
Freiheitskämpfer ihre Frauen unterdrücken oder aggressiv gegen andere
Minderheiten vorgehen
Sprecherin:
Ein anderer
Theoretiker der Macht, der französische Philosoph Michel Foucault, hat deshalb
das traditionelle Verständnis von Macht verabschiedet. Man könne Macht nicht nach
dem Schema des Big Brother begreifen, der alles von außen steuert, der
allmächtig die Fäden zieht und die anderen wie Marionetten tanzen lässt. Dagegen
betont Foucault, dass in der komplexen Wirklichkeit Macht auch eine
Anziehungskraft besitzt, die alle Beteiligten erfasst und zum Mitmachen
verführt.
Chomsky
unterteilt sehr rigide in Täter und Opfer. Und gerade was das Palästina-Problem
angeht, zudem er sich sehr häufig und sehr gründlich geäußert hat, auch in dem
Buch Fateful Triangle, … das auf Deutsch unter dem Titel „Die offene Wunde
Nahost“ erschienen ist, - zeichnet er ein Bild der israelischen Politik
gegenüber den Palästinensern, das ihm von Kritikern sicherlich als einseitig
vorgerechnet werden kann, zumal er es doch weitgehend unterlässt das Problem,
das mit den Selbstmordattentaten verbunden ist, anzusprechen, das ist verständlich
von seiner Position, dass er das aus seiner Sicht allzu freundliche Bild
Israels, das in den US-Medien gezeichnet wird, konterkarieren und sozusagen
eine Art Gegenöffentlichkeit aufbauen will, aber immer Gefahr läuft, dann auf
der anderen Seite zu freundlich zu sein, die wirkliche Problematik die sich
hinter solchen Selbstmordattentaten verbirgt zu übergehen.
Natürlich
sagt er, wenn man ihn fragt, dass diese Attentate verwerflich sind, aber dass
es da auch um politische Machtkämpfe auch innerhalb der Gruppierungen der
Palästinenser geht, das spielt für ihn keine Rolle, und insofern ist sein
Begriff des Politischen eben auf Machtasymmetrie reduziert. Er hat letztendlich
keinen Begriff des Politischen.
Sprecher:
Noam
Chomsky, wiewohl rationalistischer Kopf, der ein neue Linguistik konzipierte,
hält im Bereich der Politik und der Humanwissenschaft nichts von Theorie. Und er
stellt auch selber keine auf. Er hat sich ganz der Auseinandersetzung mit der
Macht, vor allem der Weltmacht USA verschrieben. Als Analytiker sammelt er
Beweise, als Aufklärer enthüllt er Wahrheiten, als Aktivist bezeugt er Zivilcourage,
die andere ermutigt, sich mit ihm zu
engagieren. Aber ein Konzept zur Veränderung, zur politschen Praxis kann oder
will er nicht bieten. Ist er zu skeptisch, glaubt er nicht an die Möglichkeit
der Veränderung zum Besseren?
Sprecherin:
Chomsky hat ein
positives Menschenbild, er behauptet nicht, dass der Machtdrang anthropologisch
verankert oder dem Menschen angeboren sei. Vielmehr macht Chomsky die Strukturen
der Moderne dafür verantwortlich, den autoritären Staat und die kapitalistische
Ökonomie. So stehen sich bei ihm freier Mensch und repressive Struktur, die den
Einzelnen zu einem Teilchen im Räderwerk der Macht zwingt, wie zwei Pole
unvermittelt gegenüber. Wie kommt es zu der Deformation? Und wie kann man wieder
herausgelangen? Dafür bietet er keine Erklärung an.
Sprecher:
Hannah
Arendt, die nach Amerika emigrierte politische Denkerin, suchte anders als
Chomsky nach einem positiven Verständnis
von Macht. Sie identifizierte Macht nicht einseitig mit Staat und Herrschaft,
sondern begriff Macht auch als ein Vermögen, als eine politische Gestaltungskraft,
die dort entsteht, wo Menschen sich demokratisch zusammenfinden, wo sie diskutieren,
entscheiden und handeln.
Musik:
Power to the
People (J. Lennon/Y. Ono)
Sprecherin:
Als Aktivist
handelt Chomsky offensichtlich nach der Devise ‚Macht für das Volk’, ‚Macht
durch Solidarität’, aber als politischer Autor fügt er diese Ideen nicht
systematisch zusammen in ein Konzept politischer Praxis.
Er bleibt in
seiner Kritik allzu sehr auf den Gegner fixiert, wie
Sprecher:
Diese
Schwäche und sein Verzicht auf Theorie erweisen sich in anderer Hinsicht
allerdings auch als Vorteil. Gerade weil er seine politischen Analysen nicht
mit dem Ballast von Großtheorien, etwa dem Marxismus beschwert, sondern
faktenreich, aber theorieungebunden auftritt, bietet sich Chomsky zur
Zusammenarbeit für neue politische und soziale Bewegungen an. Er ist offen für
verschiedene gesellschaftliche Strömungen, für Menschen- und
Bürgerrechtsgruppen, für Initiativen und Organisationen zur Erhaltung der
Umwelt, insbesondere für die wachsende Bewegung der Globalisierungskritiker.
Malte
Kreutzfeldt, Pressesprecher von attac Deutschland erläutert Formen der
Zusammenarbeit mit Noam Chomsky.
Malte Kreutzfeldt, O-Ton:
Ein Beispiel,
wo Attac und Chomsky sich gemeinsam engagiert haben, ist die Idee der
weltweiten Sozialforen, wie dem Sozialforum, was jetzt drei Jahre lang sehr
erfolgreich in Porto Alegre stattgefunden hat, mit den zuletzt 100.000
Menschen, wo Noam Chomsky jemand ist, der dort präsent war, und diese Idee
einer neuen weltweiten außerparlamentarischen Bewegung mit vorangebracht hat. Und
genau von dieser neuen weltweiten außerparlamentarischen Bewegung ist Attac ein
Teil, und diese Gedanken des Netzwerks, die der einseitigen neoliberalen
machtpolitisch orientierten Politik etwas entgegensetzen wollen, sich stärker
zusammenschließen müssen und sich auch eigene Netzwerke und Kommunikationswege
für ihre Ideen suchen müssen, das ist eine Idee, für die Noam Chomsky aber auch
Attac bei diesen weltweiten Sozialforen stehen.
Das wäre ein
Bereich und gerade beim letzten Weltsozialforum in Porto Alegre stand der
bevorstehende Krieg gegen den Irak im Vordergrund, Noam Chomsky hat dort sich
sehr intensiv gegen die Politik seiner Regierung stark gemacht und für eine
weltweite Widerstandsbewegung gegen diesen Krieg geworben, eben diese Idee,
dass das das Einzige sei, was die USA noch beeindrucken kann, wenn sie merken
dass ihre Politik weltweit auf Ablehnung und Widerstand stößt.
Musik:
Mr. Bush (Die komplette Bandbreite)
Sprecherin:
Chomsky und
andere mobilisierten zu großen Antikriegsdemonstrationen in der ganzen Welt.
Attac brachte sich in die Friedensbewegung ein, die im Februar in Frankfurt mit
einer halben Million Menschen zu einer der größten Demonstrationen in der
Geschichte Deutschlands aufrief.
Der Krieg
konnte nicht verhindert werden, aber die Zusammenarbeit zwischen Chomsky und den
neuen sozialen Bewegungen erhielt weiteren Auftrieb. Und die Themen soziale
Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechte und humane Arbeitsbedingungen sind um so
brennender geworden.
Sprecher:
Welche Rolle
können Intellektuelle wie Noam Chomsky für die Globalisierungskritiker
einnehmen? Betrachten sie ihn als einen
Vordenker?
Dazu Sabine
Leidig, Geschäftsführerin des Bundesbüros attac in Frankfurt, die Noam Chomsky
auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre begegnete.
Sabine Leidig, O-Ton:
Ich glaube
schon, dass Leute wie Noam Chomsky so wie andere Intellektuelle auch, die Rolle
des Vordenkers einnehmen und ausfüllen, für Bewegungen, die Orientierung und
wissenschaftliche Unterstützung brauchen, aber nicht im Sinne von Anführen,
Leitfigur sein, sondern im Sinne von Gedanken vorauszudenken, die man nutzen
kann, um in einer Bewegung weiter zu kommen. Und da finde ich, ist Chomsky
ausgesprochen wichtig, dass er die Mythen der Globalisierung entlarvt, zum
einen den Mythos, dass Globalisierung eine Gesetzmäßigkeit ist, die sich nach
bestimmten Regeln zum Beispiel der immer weiteren Öffnung der Märkte vollzieht,
als unveränderliche gottgegebene Entwicklung und er sehr schön nachweist, wie
solche Entwicklungen sehr zielgerichtet von den Mächtigen und Reichen dieser
Welt um- und durchgesetzt werden.
Musik:
Revolution (Mellow Mark)
Sabine Leidig, O-Ton:
Noam Chomsky
ist auch einer von den Intellektuellen, denen was wir die ökonomische
Alphabetisierung nennen, denen so etwas am Herzen liegt, den Menschen die
Hintergründe von ökonomischen Prozessen zu verdeutlichen, auch von politischen
Prozessen, und den Nachweis zu erbringen, dass Entwicklungen, wie wir sie
erleben, die zu einer zunehmenden Auseinanderentwicklung von Arm und Reich, zu Gewalttätigkeiten
führen, dass sie von Menschen ziel gerichtet gemacht sind, und da gibt es viele
Anknüpfungspunkte für Bewegungen wie attac und andere globalisierungskritische
Strömungen, die dann auch handelnde Subjekte sind, die auf die Entwicklung
Einfluss nehmen können, um sie in eine andere Richtung zu bringen.
Sprecherin:
Noam Chomsky
ist ein untypischer Intellektueller. Er vergräbt sich nicht hinter Büchern,
schottet sich nicht ab, um aus der Distanz die Welt zu überschauen und die Zeitläufte
zu kommentieren. Chomsky recherchiert Details, sammelt Fakten, die der
offiziellen Darstellung widersprechen, und er sucht sich vor Ort zu
informieren.
Wolfgang
Spindler, der das Noam-Chomsky-Forum im Internet betreut, berichtet, dass
Chomsky jüngst in Afghanistan war, um die Situation dort kennenzulernen. Demnächst
wird er wohl ein Buch darüber schreiben, wo vielleicht Details gebracht und in
Zusammenhänge gerückt sind, die man ansonsten nicht erführe.
Wolfgang Spindler, O-Ton:
Er ist wenig
interessiert in westlichen Ländern Vorträge zu halten, weil er sagt, ich kann
sehr viel mehr tun, wenn ich in der Dritten Welt helfe. D.h. er fährt bei
seinem großen Reisekalender immer wieder dorthin wo es am bittersten ist, und
versucht sich dort einzubringen. Ich habe großen Respekt, vor dem was er macht.
Das bezieht sich auf Kenntnis seiner Person, aber auch aus Kenntnis der
Literatur. Chomsky ist sich treu in fast all seinen Analysen geblieben, wenn er
Fehler gemacht hat, hat er sie selber korrigiert, er ist nie von einem Tagungsordnungspunkt
zum anderen gegangen, er hat historische Entwicklungen verfolgt.
Die nächste
Geschichte ist sein Arbeitspensum, das er leistet, er arbeitet sozusagen 48
Stunden pro Tag, und sein komplettes Desinteresse an Reichtum, das macht ihn
ganz bestimmt auch zu einem moralischen Charakter. Chomsky ist nie reich
geworden, er verlang so gut wie keine Honorare, er nimmt für Vorträge keine
Honorare, er lebt von einem einfachen Gehalt, obwohl er einer auf der Welt am
meisten gelesenen Autoren ist. Es gibt so viele Ausgaben von Chomsky-Büchern
auf der ganzen Welt, wie von keinem anderen amerikanischen Intellektuellen.
Dieser Mann könnte reich sein, Michael Moore ist reich geworden mit diesem
einen Buch, Chomsky nicht. Und das spricht für eine persönliche Identität und
auch für eine Moral. Und die andere Moral, die wichtig ist, zumindest für einen
journalistisch orientierten Forscher ist, sich selber zu reflektieren und zu
korrigieren. Und das tut er mit großer Konsequenz und mit großer Kontinuität. …Ich
würde ihn im Grunde genommen als einen Forscher, Analytiker und Aktivisten
sehen, und ihn in dieser Kombination höher einschätzen als jemanden, der ein
neues Weltsystem, neue weltpolitische Handlungsmaximen aufstellen kann, die
dann irgendwelche Gültigkeit besitzen. Er befruchtet nur die Diskussion, und
das ist dringend notwendig.
Sprecher:
Bei seinen
Reisen folgt Chomsky gewissermaßen den geopolitischen Meridianen der
amerikanischen Macht und in seinen Schriften kehren sie wieder: Lateinamerika
und die Karibik, Kuba, Haiti, sodann der Ferne Osten, Vietnam, Indonesien die
Philippinen, schließlich der Nahe Osten mit dem Konflikt zwischen Israelis und
Palästinensern. Und in dem Maße wie die Lage in Bosnien und später im Kosovo
eskalierte, und die Nato, eingriff, nahm er auch zum europäischen Konfliktherd
in ungewöhnlicher und provozierender Weise Stellung.
Sprecherin:
Während
viele pazifistisch Gesinnte bereit waren, militärische Aktionen gegen Milosevic
als eine Art Notmaßnahme hinzunehmen, sprach Chomsky von einem neuen militärischen
Humanismus – und er meinte dies kritisch. Chomsky ergriff nicht Partei für den
serbischen Diktator, bestritt aber, dass die Bombardierung Serbiens dem
Überleben im Kosovo und dem Frieden dienlich gewesen sei.
Zwanghaft richtet
sich sein Blick auf den Welthegemon USA, dem Europa nicht nur militärisch,
sondern auch kulturell immer weniger Paroli bieten könne.
O-Ton, Noam Chomsky :
engl. Original, dt. Übersetzer (Overvoice)
Mein
Eindruck, den ich vom Europa dieser Tage habe, ist, dass es eine kulturelle
Kolonie der USA wird. Die Beziehung Europas zu den USA erinnert in gewisser
Hinsicht an die Beziehung Indiens zu England während deren kolonialistischer
Herrschaft. Europa fühlt sich unabhängig und verachtet die USA sogar, aber wenn
man sich anschaut, wie die jüngsten Moden im Intellektuellen und in anderen
Bereich denen der USA fast sklavisch
folgen, dann ist das fast komisch zu beobachten und das wird ein bedeutender
Faktor zusätzlich zu den ökonomischen und militärischen Bedingungen sein, der
die Zukunft bestimmt.
Sprecher:
Wie die
großen europäischen Intellektuellen Jean Paul Sartre, Bertrand Russell und
Jürgen Habermas ist Noam Chomsky ein Mann der Öffentlichkeit geworden. Einladungen
zu Vorträgen und Gesprächen führen ihn quer über den Erdball, unzählige
Anfragen, von denen er nur einem
geringen Teil nachkommen kann. Aber er ist kein Medienstar geworden, kein
begeisternder Redner. Chomsky spricht leise, nüchtern, sachlich. Er möchte
nicht durch Worte glänzen, sondern durch Fakten überzeugen. Und er ist
Statistiken zufolge inzwischen der
weltweit meistzitierte Autor, in Amerika aber wohl auch der meistgeschmähteste.
Antiamerikanismus und Nestbeschmutzung lauten die Standardvorwürfe.
Wolfgang Spindler, O-Ton:
Chomsky hat in den USA, zumindest beim Bible-Belt
im Süden Amerikas, aber auch bei vielen konservativen republikanischen Wählern,
die es auch traditionell an der Ostküste der USA gibt, einen ganz furchtbaren
Ruf. Er erhält Morddrohungen, er muss wirklich manchmal aufpassen, wo er
hingeht, er hat Personenschutz, in welcher Form kann ich hier jetzt nicht
sagen, er steht da unter Beobachtung, und gehört mit zu den angefeindetsten
Intellektuellen Amerikas. Das ist ein schweres Schicksal, das muss man auch
ertragen. …. Er ist eine Hassfigur für
die Ultrarechten dort.
Jedenfalls
halte ich es für lächerlich, was Konservative tun, ihm Antiamerikanismus
vorzuwerfen. Er kritisiert die amerikanische Regierungspolitik, nicht
irgendeine sondern die, weil er sie in einer Kontinuität sieht, und ihr die
Beteuerung von Menschenrechtsverteidigung, Freiheit, Befreiung nicht abnimmt.
Weil es dafür zu viele Gegenbeispiele gibt, die er dann ja auch immer wieder
aufzählt. … Und wie unlängst in einem Interview der New York Times, … als er
gefragt wird, ob er jemals daran gedacht hätte, die USA dauerhaft zu verlassen:
sagte er: Nein, das ist das beste Land der Welt. Insofern ist er dann auch sehr
amerikanisch.
Sprecherin:
Der Leser
eines Chomsky-Buches, vor dessen Augen ein düsteres Panorama der US-Politik
entrollt wird - ihr ungezügelter Imperialismus nach außen, ihr Raubbau an
Sozialprogrammen und wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen im Innern - bleibt
ratlos zurück. Was soll man tun, fragen die Zuhörer nach einem Vortrag. Chomsky
ermuntert sie, sich zu engagieren und ihre Isolation zu durchbrechen. Aber eine
Utopie, ein Gegenbild zur schlimmen Wirklichkeit gibt er nicht. Man müsste es
ex negativo aus seinen Schriften zusammenfügen.
Sprecher:
Sicherlich teilt
er die Vorstellung einer substantielleren Demokratie, in der die Bürger an Entscheidungsprozessen
mitwirken und Politik nicht nur als Spektakel am Fernseher verfolgen.
Sicherlich hofft er auf eine stärkere Solidarität, nicht mehr auf der Folie sozialistischer
Konzepte, keine Arbeiter- sondern eine Bürgersolidarität. Vor allem aber verlangt
er wirkliche Freiheit für alle Menschen und ein Leben in Würde.
Sprecherin:
Gemeinhin
stellt man sich unter einem Anarchisten eine Person vor, die den Staat
verflucht und jeder Ordnung gewaltbereit gegenüber tritt, um dieses Prinzip Freiheit
für sich zu erstreiten. Aus Chomskys Anarchismus jedoch spricht kein Dogma,
vielmehr ein zutiefst moralischer Impuls.
O-Ton, Noam Chomsky :
engl. Original, dt. Übersetzer
(Overvoice)
Unter
Anarchismus verstehe ich nicht etwa eine
Summe von Prinzipien oder Verpflichtungen, sondern eine Tendenz im menschlichen
Denken und Handeln – eine Tendenz, die so alt wie die
Menschheitsgeschichte ist, und zum
Verständnis und zur Überwindung von Herrschaftsstrukturen führt.
Anarchisten
sind einfach Menschen, die darin weitergehen, sie fragen wie politische
Strukturen, ökonomische Organisationen, Gemeinde, Familien usw zu einer Art von
Autorität führen, die der menschlichen Natur ins Gesicht schlägt, die man nicht
dulden, sondern abschaffen sollte.
Musik:
Freedom Now (Tracy
Chapman)
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