1.Sprecher:
"In meiner Stube ist es totenstill - meine Feder kratzt nur auf dem Papier - denn ich liebe es schreibend zu denken, da die Ma­schine noch nicht erfunden ist, unsre Gedanken auf irgend einem Stoffe, unausgesprochen, ungeschrieben, abzuprägen. Vor mir ein Tintenfaß, um mein schwarzes Herz drin zu ersäufen, eine Schere, um mich an das Halsabschneiden zu gewöhnen, Manu­­skripte, um mich zu wischen und ein Nachttopf." (1862)
2.Sprecher:
Friedrich Nietzsche spitzt in diesem Bild sarkastisch zu, daß Schreiben vor allem eine mühselige Arbeit ist. Eine einsame Qual des Immer-wieder-neu-Beginnens, bis die Gedanken in eine annehm­bare Form gebracht worden sind. Dabei bedeckt sich der Schreib­tisch mit beschriebenen Papieren voller Korrekturen und Ergänzun­gen, zerschnitten, zusammengeklebt und erneut abgeschrieben, wobei das meiste doch als Abfall endet, bevor ein fertiges Manuskript entsteht.
1.Sprecher:
Das ist jetzt alles anders geworden. Nietzsches Traum von einer Maschine, die die Gedanken unmittelbar aufschreibt, hat sich zwar noch nicht erfüllt, aber von den Möglichkeiten der Textcomputer wäre er sicher begeistert. Und er hätte bestimmt auch selber einen.
Mühelos huschen die Finger über die Tastatur und sofort tauchen die Buchstaben und Wörter lautlos auf dem Bild­schirm auf. Mit ein­fachen Tastaturbefehlen läßt sich der Text mü­helos bearbeiten: korrigieren, kürzen, umstellen, ergänzen. Wie von Geisterhand fü­gen sich Buchstaben ein, tauschen sich Wörter aus und ganze Ab­sätze wechseln ihren Platz. Was man verworfen hat, verschwindet spurlos mit einem Löschbefehl. Und erst wenn der Text fertig ist, wird er gespeichert oder auf einem Drucker ausge­geben.
2.Sprecher:
Nietzsche war immerhin der erste Philosoph, der eine Schreibma­schine benutzte, damals eine junge Erfindung. Und ihm war die Einsicht nicht fremd, daß die Mittel, mit denen wir etwas herstellen, nicht ohne Einfuß auf die Ergebnisse sind. "Unser Schreib­zeug ar­beitet mit an unseren Gedanken", behauptete er in einem Brief an seinen Freund Peter Gast.
Wir fragen uns heute, ob der Textcomputer nur ein harmloses Werk­zeug ist oder aber in unser Denken eingreift. Ob er also an uns arbeitet, wenn wir mit ihm arbeiten.
Was für Auswirkungen hat die elektronische Textverarbeitung auf unser Schreiben und auf unsere Bildung? Ist vielleicht der Schreibcomputer ein Golem, der uns mit der Mühsal zugleich die geistige Aktivität abnimmt? Mit seinen Speicherkapazitäten die Kraft lebendiger Erinnerung verlieren läßt? Statt Wissen im Kopf nur noch Daten im Speicher?
1.Sprecher:
Solche Skepsis ähnelt in verblüffender Weise den Einwänden des an­tiken Philosophen Platon gegen die Schrift vor 2000 Jahren. Damals war die alphabetische Schrift noch ein neues Medium der Aufzeich­nung. Platon lebte in einer Zeit des Umbruchs so wie wir heute, zu seiner Zeit erfolgte der Übergang von der mündlichen Kultur zur Schriftkultur.
Offensichtlich begegnet man jeder neuen Entwicklung zunächst mit Mißtrauen und Abwehr.
Platon läßt Sokrates den ägyptischen Mythos vom Gott Theut erzäh­len, der die Schrift einführen will. Auf sein Angebot erwi­dert der König von Ägypten:
2.Sprecher:
"Diese Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessen­heit einflößen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für die Erinnerung, sondern nur für das Erin­nern hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst."
1.Sprecher:
Schrift befördere Vergeßlichkeit und Scheinwissen, meint Platon, sei nur Schattenbild der lebendigen Kommunikation, bloßes Spiel des Intellektuellen. Der Mensch sei für das Geschriebene nicht mehr so verantwortlich wie für seine Rede, denn es habe sich von ihm abgelöst und verselbständigt.
Das geschriebene Wort hat nicht die Lebendigkeit der mündlichen Rede. Deshalb ist der Gott der Schrift in vielen Mythen auch zugleich ein Gott des Todes; z.B. im alten Ägypten Theut oder im antiken Griechenland Hermes.
2.Sprecher:
Aber erst seitdem es Formen des Aufschreibens gibt, besitzt die Menschheit eine Geschichte. Und die Formen der Wissensspeicherung hatten immer schon einen bedeutenden Einfluß auf das Denken, Spre­chen, Empfinden und Verstehen. Deshalb sind sie niemals nur ein­fach Werkzeuge, sondern über sie erschließt sich dem Menschen seine Welt. Ohne die Schrift gäbe es auch nicht die Philosophie Platons als die Suche nach den Ideen, dem Unvergänglichen im Vergänglichen.
1.Sprecher:
Nach der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg, in der Mitte des 15.Jahrhunderts, gibt es zwei Formen von Schrift: Druckschrift und Handschrift. Die Handschrift mit ihren kontinuierlich ineinander übergehenden Buchstaben wird zum Selbstausdruck des Individu­ums. In der Verbundenheit der Schrift spiegelt sich die Ganzheit des Subjekts. Noch bis in unsere Zeit wird in der Schule die 'Schönschrift' benotet. Aber mit der Erfindung der Schreibmaschine Mitte des letzten Jahrhunderts zerfällt die Verbindung von Schrift und Selbstausdruck des Individuums.
Friedrich Kittler, Literatur- und Medienwissenschaftler in Bochum, ist in seinen Büchern diesem Zusammenhang zwischen "Aufschreibe­systemen", wie er es nennt, und Subjektivität nachge­gangen.
Kittler (O-Ton):
Und es war Hegel selber, der gesagt hat: "Das Individuum ist seine Handschrift, sein Mienenspiel usw." (...) Und das erlaube ich mir als Mensch, der nicht mehr unter Buchbedingungen wie Hegel denkt, sondern unter Computerbedingungen, so ernst zu nehmen, daß ich mir schon überlegt habe, ob nicht diese fließende Handschrift, in der alle Buchstaben verbunden sein mußten, per Lehrerzwang um 1800, die wirkliche Realität dieses fließenden und sein ganzes Le­ben in­tergrierenden Individuums von damals gewesen wären.
Daß das kein beiherspielender Witz ist, dieser Zwang, die Buchsta­ben eines Wortes miteinander zu verbinden, wenn man das Schreiben lernt, demonstriert die mir ganz neubekannte Tatsache, daß die Tochter eines amerikanischen Freundes, die gerade nach Berlin ein­geflogen ist, als Wissenschaftstochter, und in Berlin jetzt neu eingeschult wurde, die mußte alles neu lernen, weil sie natürlich in San Francisco Blockschrift als erste Schreibschrift gelernt hatte, und jetzt in Deutschland, im alten europäischen individua­listischen Deutschland, muß sie kursiv und Handschrift lernen. Also das zeigt sehr deutlich, denke ich, den Crash zwischen zwei ver­schiedenen Kulturen. Die Blockschrift ist simultan mit der Schreib­maschine, viele Amerikaner schreiben prinzipiell Block­schrift, sind damit im Formularwesen immer schon integriert, und zerschla­gen in sich selber und auf dem Papier diesen Zusammenhang, der einstmals so als Sinnzusammenhang eines Lebens oder einer Weltge­schichte gefeiert wurde, und (...) ja noch heute gefeiert wird. (...) Und die Erfindung der Schreibmaschine, die mich faszi­niert hat we­gen Nietzsche u.a., wäre dann genau die historische Phase in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo sich dieser virtuelle oder imaginäre Zusammenhang zwischen Schreiben und Äuße­rung von Subjek­ten oder Leuten (...) auflöst, weil Schreiben sich als eine Ma­schine selbst im Privaten ansiedelt, also im Büro oder auf dem privaten Schreibtisch steht dann eine sichtbare und kon­struierte Maschine..."
2.Sprecher:
Die in einzelne Buchstaben zerfallende Blockschrift vermag keine Einheit des Subjekts mehr zu spiegeln, mit ihrem Gebrauch wurde man anonym, nicht identifizierbar. Denn die Maschinenschrift verbirgt die Handschrift und damit den Charakter. Dieser Zerfall der Schrifteinheit ist andererseits die Voraussetzung dafür, daß uns die Computer heute verstehen können. Auf vielen Formularen z.B. müssen wir den Text in Kästchen einfügen, weil die Maschinen nicht lesen, sondern nur buchstabieren können.
Die Schreibmaschinen wurden zunächst vor allem für Blinde und für Nervenkranke, die die Feder nicht halten konnten, entwickelt. Ex­treme Sehstörungen wa­ren auch für Nietzsche der Grund, sich eine Schreibma­schine anzuschaffen. Ihre Tasten waren auf einer Halbkugel ange­bracht, was die räumliche Unterscheidbarkeit der Buchsta­ben er­höhte. Auf ihr konnte Nietzsche dann buchstäblich "mit dem Hammer philosophieren", wie er sein Philosophieren auch nannte, nämlich seine Texte auf das Papier 'hämmern'.
1.Sprecher:
Die Arbeit mit einem Text-Computer hat das Schreiben weiter er­leichtert: eine leicht ansprechbare Tastatur setzt weniger Wider­stand entgegen als z.B. ein Kugelschreiber, um den sich die Hand beim Schreiben zusammenkrampft. Auch psychische Verkrampfungen, Schreibhemmungen, lassen sich eher vermeiden, wenn man nicht un­mittelbar auf ein weißes Blatt Papier schreiben muß, sondern auf einen Bildschirm, wo alles Geschriebene vorläufig ist, immer wie­der veränderbar und löschbar. Gehören nun solche Schreib- und Aus­drucksprobleme der Vergangenheit an?
Matthias Horx, der sich in mehreren Computer-Fachbüchern schon vor einigen Jahren mit den Möglichkeiten von Textverarbeitungsystemen auseinandergesetzt hat, sieht die Vorteile etwas nüchterner:
Horx (O-Ton):
Also, der Computer kann sicherlich so etwas wie Schreibverkramp­fung lösen, also wenn man sich allzusehr grämt am Blatt Papier und hat dieses berühmte 'Weiße-Blatt-Syndrom' (...).
Also es hilft sicherlich bei Schreibverkrampfungen der schlimmsten Sorte, aber es ist eben auch illusionär, also ich glaube, daß das eigentliche Problem, was Leute mit dem Schreiben haben, mit dem Computer nicht beseitigt werden kann. Der Computer ist quasi eine Umgehungsmaschine dieses Problems, er führt einen oft in Sackgas­sen, was jetzt nicht heißt, daß man nicht auf der anderen Seite vernünftig mit dieser Technologie umgehen kann, d.h., wenn man seinen eigenen kreativen Schreibprozeß organisiert hat, dann ist der Com­puter als klassisches Handwerkszeug eine wunderbare Geschichte, weil man natürlich mehrere Versionen von Texten erstellen kann, weil man Überarbeitungen schneller hinkriegt, weil die Schwellen­angst vor dem Papier, was erstmal fertig abgetippt daliegt, das jetzt wiederum zu redigieren und zu überarbeiten ist, eine viel hö­here als das jetzt am Bildschirm zu machen oder als die Veränderungen, die man am Papier gemacht hat, wieder in den Bildschirm einzupfrimeln. Nur, der Grundirrtum ist immer der, an­zunehmen, daß das Leiden und daß die Schwellenangst im Sinn von der Anforderung, die man an sich selbst oder die der Text an den Autor stellt, ge­ringer wird; das ist glaube ich eine große Illu­sion. (...) Es ist so, daß Schreiben ein Prozeß ist, der weh tut, der, wenn er wirklich gut sein soll, der Text, Qualen verursacht, Formulierungsqualen, der ne' Selbstdisziplin verursacht, also ne Selbst­disziplin bedingt und auch immer eine Form rabiater Selbst­kritik; und das hat das Schreiben im Prinzip mit jedem vernünftigen oder intensiven Schöpferprozeß gemein."
2.Sprecher:
Andererseits besteht ein großer Teil des kreativen Schreibens aus dem Sammeln und Aufbereiten von Informationen. Diese Arbeit läßt sich mit einem Computer zweifellos leichter und effektiver erledi­gen.
Das einmal Geschriebene gerinnt nicht wie Tinte auf dem Papier, auf dem Bildschirm bleibt alles flüssig und unbegrenzt formbar. Die elektronisch gestützte Schrift existiert flüchtig und immateriell, gleichsam wie eine Gedankenschrift. Das ist nun ganz das Gegenteil dessen, was Schrift immer definiert hat: Inbegriff des Endgültigen und Verbindlichen. Im Computer wird Schrift in einem Schwebezustand gehalten. Im Gegensatz zu den verkritzelten Manu­skripten ist der Text immer sauber und fertig, und dabei doch nie endgültig und de­finitiv. Ein perfektes Provisorium.
Das Schreiben wird offener, weil man von einem Text ohne viel Auf­wand Abwandlungen bilden und festhalten kann.
Kittler (O-Ton):
" Aber zum ersten Mal ist die Kopiermöglichkeit ohne irgendwelchen Aufwand in die Wohnzimmer oder Schreibzimmer eingezogen. So daß man also auch sofort, wenn man Varianten entwickelt, eine Nebenda­tei benennen kann und die wieder abspeichern kann. Und das scheint mir wirklich neu zu sein, als Dispersion oder Streuung des Schrei­bens, daß man soviel Varianten oder Äste in einem Entscheidungs­baum offenhalten kann, bevor man sich irgendwann dann nicht am Computer, sondern eben angesichts des eventuellen Drucks vor allem dann für eine bestimmte Fassung entscheidet, aber zunächst mal zirkulieren endlos diverse Fassungen, die alle nicht sich gegen­seitig verdecken, sondern wo nichts verloren gehen muß, intern."
1.Sprecher:
Der Speicherplatz ist nahezu unerschöpflich, und es ist eine Verlockung, diesen unendlichen Raum der Maschine schreibend aufzufüllen. Man kann ja alles wieder spurlos löschen ohne Papier zu verbrauchen. Mit einem Text, der vorläufig bleibt, läßt sich spie­lerischer und freier umgehen.
Andrerseits: Man droht in der Vielfalt des Materials und der Möglichkeiten schlichtweg unterzugehen, einfach den Überblick zu verlieren: denn während man in den unendlichen Raum der Maschine hineinarbeitet, und dort das Geschriebene unsichtbar anwächst, ist davon fürs Auge nur ein schmaler Teil sichtbar, jene ungefähr 25 Zeilen, die im Ausschnitt des Bildschirms Platz haben. Deshalb ist bei der Arbeit mit dem Textcomputer das visuelle Gedächtnis stark gefordert.
2.Sprecher:
Der Textcomputer hat die sinnliche Einheit des Schreibens zerlegt. Traditionell verbinden sich Auge, Hand und Schreibwerkzeug auf dem Papier, um gleichzeitig etwas auszudrücken, festzuhalten und herauszugeben.
Selbst auf der Schreibmaschine entsteht der Text noch während des Schreibens auf dem Papier, auch wenn sich zwischen Hand und Papier schon die Maschine geschoben hat.
Nun, beim Textcomputer, ist die Entfremdung vom Text noch größer geworden, die Tätigkeit des Schreibens ist in Teilakte zerlegt, die zeitlich und maschinell streng getrennt ausgeführt werden:
An der Tastatur arbeiten die Finger, am Bildschirm liest das Auge, das Abspeichern geschieht später, und abseits steht der Drucker für einen möglichen Papierausdruck .
Mit der Ganzheitlichkeit des Schreibens ist es vorbei.
Aber diese Zerlegung des Schreibvorgangs macht auch aufmerksam auf die vielen Aspekte der äußeren Ordnung und Gestaltung eines Textes, wofür es in jedem Textverarbeitungssystem eine Fülle an Befehlen gibt.
So lernen wir viel über Schrift und Schreiben, in einem histori­schen Moment, wo wir dieses Tun in seiner handwerklichen Ganzheit verlassen.
1.Sprecher:
Wenn die sinnliche Einheit verloren geht, muß die Integration des Schreibvorgangs noch stärker durch geistige Konzentration gelei­stet werden. Dies wird offensichtlich bei den meisten heute mit Computern geschriebenen Texten zum Problem. Häufig wirken sie in­haltlich nicht streng durchgearbeitet, als ob man vergessen hätte, manche Passage zu löschen. Der Schweizer Schriftsteller Jürg Laederach vermutet eine Entwicklung hin zu einem sogenannten "Parlando-Stil", also zu einem lockeren, gleichsam mündlichen Stil. Wird die Strenge der Schrift und der Schriftkultur preisge­geben zugunsten einer neuen Dominanz der mündlichen Kommunikation? Befördert paradoxerweise gerade der Computer ein neues Zeitalter der Mündlichkeit, wie es damals bei Platon zuendeging?
Nach anfänglicher Computer-Euphorie beginnen manche wieder die Vorzüge des Papiers zu entdecken. Horx, heute Chefredakteur des Frankfurter Stadtmagazins "Pflasterstrand", verlangt von seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, daß sie ihm ihre Texte auf Papier und nicht auf Diskette vorlegen. Er bevorzugt, wie er sagt, einen eher konservativen, das heißt eingeschränkten Einsatz des Computers.
Horx (O-Ton):
"...ich will, daß der Autor, der für mich arbeitet, weiß, was der Chefredakteur redigiert. Und wenn der mir eine Diskette schickt, dann stecke ich die in meinen Diskettenschacht und dann verändere ich soviel im Text, daß der Autor überhaupt nicht mehr weiß, was ich verändert habe, oder er muß mühsam vergleichen zwi­schen seiner Urversion und meiner Endversion. Papier hat etwas un­heimlich schön Faktisches, dann kann man näm­lich mit einem Rot­stift drauf malen, und dann weiß man, was die Kritik war, und das meine ich mit kon­servativem Computerumgang, also ich bin nicht der Meinung, daß die gewissermaßen menschlichen Prozesse innerhalb von geistesschöpfen­den Betrieben durch den Com­puter wirklich struktu­rell verändert wer­den sollten, sondern ich bin der Meinung, daß sie als techni­sche Hilfmittel eingesetzt wer­den sollten, wo man kann, das machen wir hier schon, unsere Auto­ren haben alle Laptops und schreiben darauf, und das hat für unse­ren Verlag den Vorteil, daß wir das einfach auf Lichtsatz konver­tieren können, wir sparen den Setzer­beruf. Aber bevor jetzt Kor­rekturen und Redigierungen gemacht wer­den, kriege ich immer einen Papierauszug auf den Tisch, da sind wir dann wieder ganz konserva­tiv, und das wird dann, wenn diese Korrekturen genehmigt sind, wird das von unserer Schlußpro­duktion in den Computersatz hinein­gefummelt. Und das finde ich eigentlich als Modell praktikabel, es gibt auch andere Erfahrungen, daß man mit dieser Technologie konservativ, aber praktisch umgehen kann: Unsere Typographen ... haben sich eine sehr konservative Typo­graphie entwickelt, die aber mit der Computer­technologie trotzdem sehr viel flexibler geworden ist. Und die können jetzt eben Buch­staben nicht einfach nur stauchen und quet­schen, was eine Verfrem­dung ist, sonders sie können auch sehr sehr intensiv an Typogra­phien jetzt feilen. ...Die haben quasi so ein Ethos wie die alten Gutenberg-Freaks, ... unsere Typographen haben eine Selbstwahrneh­mung wie ein Bleisetzer, die sind Handwerker, aber sie benutzen mo­­derne Technologie, um eigentlich ihr Handwerk zu erweitern, um jeden einzelnen Schritt, den man früher hätte mühsam wieder aus dem Blei gießen müssen, können sie jetzt ganz schnell auf dem Bild­schirm nachvollziehen."
2.Sprecher:
Das ist der Versuch, den Computer pragmatisch als Werkzeug in Ge­brauch zu nehmen, ohne seiner Faszination zu verfallen und allzu­viel von ihm zu erwarten. Die eigentlich schöpferische Arbeit soll im Individuum stattfinden, jedenfalls nicht in einer Auslieferung an die Logik des Computers.
Ganz anders sieht dies Friedrich Kittler. Immer schon sei es in unserer Kulturtradition um Speicherung von Informationen gegangen, nur habe man das mit humanistischen Vorstellungen vom einsamen schöpferischen Subjekt und seinen einzigartigen Werken zu ka­schieren gewußt. Alle Kultur sei nichts als Datenverarbeitung gewesen, alles andere nur Maskerade. Und heute werde dies mit der modernen Informationstechnologie endlich offenbar.
Kittler (O-Ton):
"Die prinzipielle Umstellung, die der Computer gebracht hat, ist, daß er zwar nach außen weiterhin uns auf dem Bildschirm oder Druk­ker uns Schrift ausgibt, daß er aber intern die Schrift behandelt wie alle anderen mathematischen Zahlenkolonnen auch, und daß er in Wahrheit eine Rechenmaschine und keine Schreibmaschine ist. Aber eine Rechenmaschine, die so gut ist, daß sie uns Idioten, Usern, Benutzern, manchmal wenn wir es wollen oder dafür bezahlen, vor­täuschen kann, sie sei eine Schreibmaschine und würde nur den Sta­tus unserer Texte modifizieren, in Wahrheit modifiziert sie viel mehr, weil man schon sagen kann, (...) unter Bedingungen des ein­zigen Schriftmonopols (...), da gab es ja kulturell nur das, was geschrieben hatte werden können, und die Mathematik war so ein kleiner Spezialistenbereich am Rand des großen Pools dessen, was sich alles schreiben ließ. Und heute ist das, was sich schreiben läßt, vielleicht umgekehrt eine winzige, den Menschen zugewandte Oberfläche eines unendlich großen Konti­nents, in dem gerechnet wird, und in dem die Natur selber rechnet, in dem die Naturwissenschaftler mit der Natur rund um die Na­tur rechnen, fast in einer Art von strategischer challenge. Und daß wir dann so entlastet an der Computerschreibmaschine sitzen, scheint mir ein Nebeneffekt der Dinge zu sein."
1.Sprecher:
Das Schreiben von Texten ist für den Computer nur eine Möglichkeit unter anderen. Er sieht zwar aus wie eine Schreibmaschine, ist aber sehr viel mehr. Mit ihm triumphiert der Maschinencode über die alte Schrift.
In der Tat: Wir schreiben mit einer Rechenmaschine. Das führt der angeschlossene Nadeldrucker eindrucksvoll vor Augen. Schrill wie eine Kreissäge sticht er die Zeilen abwechselnd vorwärts und rück­wärts aufs Papier, er funktioniert eben gemäß einer Steuerlogik, die jenseits der Symbolik der Sprache und der Ordnung unserer Schrift liegt. Der Textcomputer schreibt nicht, er simuliert die Schrift.
Aber wir kaufen uns die Computer auch nicht, nur um mit ihnen zu schreiben, sondern um an den zukünftigen Möglichkeiten der Kommu­nikation teilzuhaben. Wenn die Kommunikation zwischen Menschen in der Zukunft entscheidend über Maschinen vermittelt ist, dann wird es vor allem eine intensive Kommunikation zwischen Mensch und Ma­schine ge­ben.
Anstatt zu schreiben sollten wir vielleicht programmieren lernen. Dazu müssen wir uns auf eine andere Schrift einlassen, die mit den Zeichen spielt und rechnet.
Bildet sich mit den neuen Medien ein neues Selbstverständnis des Menschen: nicht mehr so kritisch und wertend im Umgang mit sei­nen Möglichkeiten, sondern spielerischer und offener? Wobei sich die­ses Spielerische als strategischer Umgang mit Befehlen erweist?
2.Sprecher:
Die gegen Ende des 2.Weltkriegs entwickelten Computer trugen ent­scheidend mit zum Sieg der Alliierten über das Hitler-Deutschland bei, indem der englische Computer die deutschen Militärbe­fehle entschlüsselte. Aber nicht die kriegstechnologische Herkunft macht den Computer zu einer in seinem Wesen kriegerischen Ma­schine. Seine innere Logik selber ist eine wesentlich strategi­sche, denn seine Operationen reduzieren sich letztlich auf Ent­scheidungen zwischen zwei Werten, 'Ja' und 'Nein', 'Strom fließt' oder 'Strom fließt nicht'. Daraus bauen sich dann immer komplexere Befehlszu­sammenhänge und Entscheidungslogiken auf. Der Umgang mit dem Com­puter ist ein strategischer Dialog, der alle Inhalte und Probleme in Befehlszusammenhänge übersetzen will. Was darin nicht aufgeht, die Fragen nach dem Warum und Wozu, fällt heraus.
1.Sprecher:
Mit der technologischen Entwicklung, die sich im Computerbereich abzeichnet, stehen unserer Schriftkultur weitere Veränderungen be­vor. Noch be­nutzt man den Computer vor allem als komfortable Schreibmaschine. Aber wel­che Auswirkungen werden die Spracherken­nungs-Computer haben, die das Gesprochene selber in geschriebenen Text unmittelbar umwandeln können? Oder welche Folgen wird die Vernetzung der Computer unter­einander und mit anderen Medien ha­ben, wodurch sie Durchgangsort und Steuerungszentrum für alle Da­tenflüsse werden, für Worte, Texte, Bilder, Töne?
Dann wird sich spätestens zeigen, daß sie mehr sind als Schreibma­schinen. Dann werden sie zu Umschlagplätzen gigantischer Informa­tionsflüsse. Man kann fasziniert sein von der Vision einer soge­nannten "informatisierten Gesellschaft" mit freiem Zugang zu allen Datenspeichern. Man kann aber auch skeptisch sein, ob die Mensch­heit mit der auf sie einbrechenden Informationsflut wird umgehen können. Der Medienkritiker Jean Baudrillard prognostiziert "eine Überfüllung und Überfettung der Gedächtnissysteme und Informati­onsspeicher, die von nun an nicht mehr handhabbar sind".
2.Sprecher:
Wird sich ein willkürlicher, nur noch strategischer Umgang heraus­bilden im Ver­hältnis zum Anderen und zur Welt, als hilflose Ant­wort auf die Desorientierung durch Informationsüberfluß? Auch Tex­te und Bücher werden dann nicht mehr Gegenstände des Ver­stehens und der Selbstreflexion, sondern Informationen­ sein, mit denen man pragmatisch operiert, die man auseinander­nehmen und neu arran­gieren kann, in einer Lust an Verbindungen ohne Verbindlichkeit.
Informationen ersetzen keine Erfahrung. Deshalb können wir noch so gut informiert sein, dies heißt noch nicht, daß wir etwas auch wirklich wissen. Und wenn uns die Erfahrung fehlt, dann wer­den wir auch keine Fragen mehr haben. Ein amerikanischer Computerspezia­list hat das einmal so formuliert: "Der Computer ist die Lösung. Was uns jetzt noch fehlt, ist das Problem."