1.Sprecher:
"In
meiner Stube ist es totenstill - meine Feder kratzt nur auf dem Papier - denn
ich liebe es schreibend zu denken, da die Maschine noch nicht erfunden ist,
unsre Gedanken auf irgend einem Stoffe, unausgesprochen, ungeschrieben,
abzuprägen. Vor mir ein Tintenfaß, um mein schwarzes Herz drin zu ersäufen,
eine Schere, um mich an das Halsabschneiden zu gewöhnen, Manuskripte, um mich
zu wischen und ein Nachttopf." (1862)
2.Sprecher:
Friedrich
Nietzsche spitzt in diesem Bild sarkastisch zu, daß Schreiben vor allem eine
mühselige Arbeit ist. Eine einsame Qual des Immer-wieder-neu-Beginnens, bis die
Gedanken in eine annehmbare Form gebracht worden sind. Dabei bedeckt sich der
Schreibtisch mit beschriebenen Papieren voller Korrekturen und Ergänzungen,
zerschnitten, zusammengeklebt und erneut abgeschrieben, wobei das meiste doch
als Abfall endet, bevor ein fertiges Manuskript entsteht.
1.Sprecher:
Das ist
jetzt alles anders geworden. Nietzsches Traum von einer Maschine, die die
Gedanken unmittelbar aufschreibt, hat sich zwar noch nicht erfüllt, aber von
den Möglichkeiten der Textcomputer wäre er sicher begeistert. Und er hätte
bestimmt auch selber einen.
Mühelos
huschen die Finger über die Tastatur und sofort tauchen die Buchstaben und
Wörter lautlos auf dem Bildschirm auf. Mit einfachen Tastaturbefehlen läßt
sich der Text mühelos bearbeiten: korrigieren, kürzen, umstellen, ergänzen.
Wie von Geisterhand fügen sich Buchstaben ein, tauschen sich Wörter aus und
ganze Absätze wechseln ihren Platz. Was man verworfen hat, verschwindet
spurlos mit einem Löschbefehl. Und erst wenn der Text fertig ist, wird er
gespeichert oder auf einem Drucker ausgegeben.
2.Sprecher:
Nietzsche
war immerhin der erste Philosoph, der eine Schreibmaschine benutzte, damals eine
junge Erfindung. Und ihm war die Einsicht nicht fremd, daß die Mittel, mit
denen wir etwas herstellen, nicht ohne Einfuß auf die Ergebnisse sind.
"Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken", behauptete er
in einem Brief an seinen Freund Peter Gast.
Wir fragen uns heute, ob der Textcomputer nur ein
harmloses Werkzeug ist oder aber in unser Denken eingreift. Ob er also an uns arbeitet, wenn wir mit ihm arbeiten.
Was für
Auswirkungen hat die elektronische Textverarbeitung auf unser Schreiben und auf
unsere Bildung? Ist vielleicht der Schreibcomputer ein Golem, der uns mit der
Mühsal zugleich die geistige Aktivität abnimmt? Mit seinen Speicherkapazitäten
die Kraft lebendiger Erinnerung verlieren läßt? Statt Wissen im Kopf nur noch
Daten im Speicher?
1.Sprecher:
Solche
Skepsis ähnelt in verblüffender Weise den Einwänden des antiken Philosophen
Platon gegen die Schrift vor 2000 Jahren. Damals war die alphabetische Schrift
noch ein neues Medium der Aufzeichnung. Platon lebte in einer Zeit des Umbruchs
so wie wir heute, zu seiner Zeit
erfolgte der Übergang von der mündlichen Kultur zur Schriftkultur.
Offensichtlich
begegnet man jeder neuen Entwicklung zunächst mit Mißtrauen und Abwehr.
Platon läßt
Sokrates den ägyptischen Mythos vom Gott Theut erzählen, der die Schrift
einführen will. Auf sein Angebot erwidert der König von Ägypten:
2.Sprecher:
"Diese
Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen aus
Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur
von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und
unmittelbar erinnern werden. Nicht also für die Erinnerung, sondern nur für das
Erinnern hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit bringst du deinen
Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst."
1.Sprecher:
Schrift
befördere Vergeßlichkeit und Scheinwissen, meint Platon, sei nur Schattenbild
der lebendigen Kommunikation, bloßes Spiel des Intellektuellen. Der Mensch sei
für das Geschriebene nicht mehr so verantwortlich wie für seine Rede, denn es
habe sich von ihm abgelöst und verselbständigt.
Das
geschriebene Wort hat nicht die Lebendigkeit der mündlichen Rede. Deshalb ist
der Gott der Schrift in vielen Mythen auch zugleich ein Gott des Todes; z.B. im
alten Ägypten Theut oder im antiken Griechenland Hermes.
2.Sprecher:
Aber erst
seitdem es Formen des Aufschreibens gibt, besitzt die Menschheit eine
Geschichte. Und die Formen der Wissensspeicherung hatten immer schon einen bedeutenden Einfluß
auf das Denken, Sprechen, Empfinden und Verstehen. Deshalb sind sie niemals
nur einfach Werkzeuge, sondern über sie erschließt sich dem Menschen seine
Welt. Ohne die Schrift gäbe es auch nicht die Philosophie Platons als die Suche
nach den Ideen, dem Unvergänglichen im Vergänglichen.
1.Sprecher:
Nach der
Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg, in der Mitte des 15.Jahrhunderts,
gibt es zwei Formen von Schrift: Druckschrift und Handschrift. Die Handschrift
mit ihren kontinuierlich ineinander übergehenden Buchstaben wird zum
Selbstausdruck des Individuums. In der Verbundenheit der Schrift spiegelt sich
die Ganzheit des Subjekts. Noch bis in unsere Zeit wird in der Schule die
'Schönschrift' benotet. Aber mit der Erfindung der Schreibmaschine Mitte des
letzten Jahrhunderts zerfällt die Verbindung von Schrift und Selbstausdruck des
Individuums.
Friedrich
Kittler, Literatur- und Medienwissenschaftler in Bochum, ist in seinen Büchern
diesem Zusammenhang zwischen "Aufschreibesystemen", wie er es nennt,
und Subjektivität nachgegangen.
Kittler
(O-Ton):
Und es war
Hegel selber, der gesagt hat: "Das Individuum ist seine Handschrift, sein
Mienenspiel usw." (...) Und das erlaube ich mir als Mensch, der nicht mehr
unter Buchbedingungen wie Hegel denkt, sondern unter Computerbedingungen, so
ernst zu nehmen, daß ich mir schon überlegt habe, ob nicht diese fließende
Handschrift, in der alle Buchstaben verbunden sein mußten, per Lehrerzwang um
1800, die wirkliche Realität dieses fließenden und sein ganzes Leben intergrierenden
Individuums von damals gewesen wären.
Daß das kein
beiherspielender Witz ist, dieser Zwang, die Buchstaben eines Wortes
miteinander zu verbinden, wenn man das Schreiben lernt, demonstriert die mir
ganz neubekannte Tatsache, daß die Tochter eines amerikanischen Freundes, die
gerade nach Berlin eingeflogen ist, als Wissenschaftstochter, und in Berlin
jetzt neu eingeschult wurde, die mußte alles neu lernen, weil sie natürlich in
San Francisco Blockschrift als erste Schreibschrift gelernt hatte, und jetzt in
Deutschland, im alten europäischen individualistischen Deutschland, muß sie
kursiv und Handschrift lernen. Also das zeigt sehr deutlich, denke ich, den
Crash zwischen zwei verschiedenen Kulturen. Die Blockschrift ist simultan mit
der Schreibmaschine, viele Amerikaner schreiben prinzipiell Blockschrift,
sind damit im Formularwesen immer schon integriert, und zerschlagen in sich
selber und auf dem Papier diesen Zusammenhang, der einstmals so als
Sinnzusammenhang eines Lebens oder einer Weltgeschichte gefeiert wurde, und
(...) ja noch heute gefeiert wird. (...) Und die Erfindung der Schreibmaschine,
die mich fasziniert hat wegen Nietzsche u.a., wäre dann genau die historische
Phase in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo sich dieser virtuelle oder
imaginäre Zusammenhang zwischen Schreiben und Äußerung von Subjekten oder
Leuten (...) auflöst, weil Schreiben sich als eine Maschine selbst im Privaten
ansiedelt, also im Büro oder auf dem privaten Schreibtisch steht dann eine
sichtbare und konstruierte Maschine..."
2.Sprecher:
Die in
einzelne Buchstaben zerfallende Blockschrift vermag keine Einheit des Subjekts
mehr zu spiegeln, mit ihrem Gebrauch wurde man anonym, nicht identifizierbar.
Denn die Maschinenschrift verbirgt die Handschrift und damit den Charakter.
Dieser Zerfall der Schrifteinheit ist andererseits die Voraussetzung dafür, daß
uns die Computer heute verstehen können. Auf vielen Formularen z.B. müssen wir
den Text in Kästchen einfügen, weil die Maschinen nicht lesen, sondern nur
buchstabieren können.
Die
Schreibmaschinen wurden zunächst vor allem für Blinde und für Nervenkranke, die
die Feder nicht halten konnten, entwickelt. Extreme Sehstörungen waren auch
für Nietzsche der Grund, sich eine Schreibmaschine anzuschaffen. Ihre Tasten
waren auf einer Halbkugel angebracht, was die räumliche Unterscheidbarkeit
der Buchstaben erhöhte. Auf ihr konnte Nietzsche dann buchstäblich "mit
dem Hammer philosophieren", wie er sein Philosophieren auch nannte,
nämlich seine Texte auf das Papier 'hämmern'.
1.Sprecher:
Die Arbeit
mit einem Text-Computer hat das Schreiben weiter erleichtert: eine leicht
ansprechbare Tastatur setzt weniger Widerstand entgegen als z.B. ein
Kugelschreiber, um den sich die Hand beim Schreiben zusammenkrampft. Auch
psychische Verkrampfungen, Schreibhemmungen, lassen sich eher vermeiden, wenn
man nicht unmittelbar auf ein weißes Blatt Papier schreiben muß, sondern auf
einen Bildschirm, wo alles Geschriebene vorläufig ist, immer wieder
veränderbar und löschbar. Gehören nun solche Schreib- und Ausdrucksprobleme
der Vergangenheit an?
Matthias
Horx, der sich in mehreren Computer-Fachbüchern schon vor einigen Jahren mit
den Möglichkeiten von Textverarbeitungsystemen auseinandergesetzt hat, sieht
die Vorteile etwas nüchterner:
Horx
(O-Ton):
Also, der
Computer kann sicherlich so etwas wie Schreibverkrampfung lösen, also wenn man
sich allzusehr grämt am Blatt Papier und hat dieses berühmte
'Weiße-Blatt-Syndrom' (...).
Also es
hilft sicherlich bei Schreibverkrampfungen der schlimmsten Sorte, aber es ist
eben auch illusionär, also ich glaube, daß das eigentliche Problem, was Leute
mit dem Schreiben haben, mit dem Computer nicht beseitigt werden kann. Der
Computer ist quasi eine Umgehungsmaschine dieses Problems, er führt einen oft
in Sackgassen, was jetzt nicht heißt, daß man nicht auf der anderen Seite vernünftig
mit dieser Technologie umgehen kann, d.h., wenn man seinen eigenen kreativen
Schreibprozeß organisiert hat, dann ist der Computer als klassisches
Handwerkszeug eine wunderbare Geschichte, weil man natürlich mehrere Versionen
von Texten erstellen kann, weil man Überarbeitungen schneller hinkriegt, weil
die Schwellenangst vor dem Papier, was erstmal fertig abgetippt daliegt, das
jetzt wiederum zu redigieren und zu überarbeiten ist, eine viel höhere als das
jetzt am Bildschirm zu machen oder als die Veränderungen, die man am Papier
gemacht hat, wieder in den Bildschirm einzupfrimeln. Nur, der Grundirrtum ist
immer der, anzunehmen, daß das Leiden und daß die Schwellenangst im Sinn von
der Anforderung, die man an sich selbst oder die der Text an den Autor stellt,
geringer wird; das ist glaube ich eine große Illusion. (...) Es ist so, daß
Schreiben ein Prozeß ist, der weh tut, der, wenn er wirklich gut sein soll, der
Text, Qualen verursacht, Formulierungsqualen, der ne' Selbstdisziplin
verursacht, also ne Selbstdisziplin bedingt und auch immer eine Form rabiater
Selbstkritik; und das hat das Schreiben im Prinzip mit jedem vernünftigen
oder intensiven Schöpferprozeß gemein."
2.Sprecher:
Andererseits
besteht ein großer Teil des kreativen Schreibens aus dem Sammeln und
Aufbereiten von Informationen. Diese Arbeit läßt sich mit einem Computer
zweifellos leichter und effektiver erledigen.
Das einmal
Geschriebene gerinnt nicht wie Tinte auf dem Papier, auf dem Bildschirm bleibt
alles flüssig und unbegrenzt formbar. Die elektronisch gestützte Schrift
existiert flüchtig und immateriell, gleichsam wie eine Gedankenschrift. Das
ist nun ganz das Gegenteil dessen, was Schrift immer definiert hat: Inbegriff
des Endgültigen und Verbindlichen. Im Computer wird Schrift in einem
Schwebezustand gehalten. Im Gegensatz zu den verkritzelten Manuskripten ist
der Text immer sauber und fertig, und dabei doch nie endgültig und definitiv.
Ein perfektes Provisorium.
Das
Schreiben wird offener, weil man von einem Text ohne viel Aufwand Abwandlungen
bilden und festhalten kann.
Kittler
(O-Ton):
" Aber
zum ersten Mal ist die Kopiermöglichkeit ohne irgendwelchen Aufwand in die
Wohnzimmer oder Schreibzimmer eingezogen. So daß man also auch sofort, wenn man
Varianten entwickelt, eine Nebendatei benennen kann und die wieder abspeichern
kann. Und das scheint mir wirklich neu zu sein, als Dispersion oder Streuung
des Schreibens, daß man soviel Varianten oder Äste in einem Entscheidungsbaum
offenhalten kann, bevor man sich irgendwann dann nicht am Computer, sondern
eben angesichts des eventuellen Drucks vor allem dann für eine bestimmte
Fassung entscheidet, aber zunächst mal zirkulieren endlos diverse Fassungen,
die alle nicht sich gegenseitig verdecken, sondern wo nichts verloren gehen
muß, intern."
1.Sprecher:
Der
Speicherplatz ist nahezu unerschöpflich, und es ist eine Verlockung, diesen
unendlichen Raum der Maschine schreibend aufzufüllen. Man kann ja alles wieder
spurlos löschen ohne Papier zu verbrauchen. Mit einem Text, der vorläufig
bleibt, läßt sich spielerischer und freier umgehen.
Andrerseits:
Man droht in der Vielfalt des Materials und der Möglichkeiten schlichtweg
unterzugehen, einfach den Überblick zu verlieren: denn während man in den
unendlichen Raum der Maschine hineinarbeitet, und dort das Geschriebene
unsichtbar anwächst, ist davon fürs Auge nur ein schmaler Teil sichtbar, jene
ungefähr 25 Zeilen, die im Ausschnitt des Bildschirms Platz haben. Deshalb ist
bei der Arbeit mit dem Textcomputer das visuelle Gedächtnis stark gefordert.
2.Sprecher:
Der
Textcomputer hat die sinnliche Einheit des Schreibens zerlegt. Traditionell verbinden sich Auge, Hand und
Schreibwerkzeug auf dem Papier, um gleichzeitig etwas auszudrücken,
festzuhalten und herauszugeben.
Selbst auf
der Schreibmaschine entsteht der Text noch während des Schreibens auf dem
Papier, auch wenn sich zwischen Hand und Papier schon die Maschine geschoben
hat.
Nun, beim
Textcomputer, ist die Entfremdung vom Text noch größer geworden, die Tätigkeit
des Schreibens ist in Teilakte zerlegt, die zeitlich und maschinell streng
getrennt ausgeführt werden:
An der
Tastatur arbeiten die Finger, am Bildschirm liest das Auge, das Abspeichern
geschieht später, und abseits steht der Drucker für einen möglichen
Papierausdruck .
Mit der
Ganzheitlichkeit des Schreibens ist es vorbei.
Aber diese
Zerlegung des Schreibvorgangs macht auch aufmerksam auf die vielen Aspekte der
äußeren Ordnung und Gestaltung eines Textes, wofür es in jedem
Textverarbeitungssystem eine Fülle an Befehlen gibt.
So lernen
wir viel über Schrift und Schreiben, in einem historischen Moment, wo wir
dieses Tun in seiner handwerklichen Ganzheit verlassen.
1.Sprecher:
Wenn die
sinnliche Einheit verloren geht, muß die Integration des Schreibvorgangs noch
stärker durch geistige Konzentration geleistet werden. Dies wird
offensichtlich bei den meisten heute mit Computern geschriebenen Texten zum
Problem. Häufig wirken sie inhaltlich nicht streng durchgearbeitet, als ob man
vergessen hätte, manche Passage zu löschen. Der Schweizer Schriftsteller Jürg
Laederach vermutet eine Entwicklung hin zu einem sogenannten
"Parlando-Stil", also zu einem lockeren, gleichsam mündlichen Stil.
Wird die Strenge der Schrift und der Schriftkultur preisgegeben zugunsten
einer neuen Dominanz der mündlichen Kommunikation? Befördert paradoxerweise
gerade der Computer ein neues Zeitalter der Mündlichkeit, wie es damals bei
Platon zuendeging?
Nach
anfänglicher Computer-Euphorie beginnen manche wieder die Vorzüge des Papiers
zu entdecken. Horx, heute Chefredakteur des Frankfurter Stadtmagazins
"Pflasterstrand", verlangt von seinen Mitarbeitern und
Mitarbeiterinnen, daß sie ihm ihre Texte auf Papier und nicht auf Diskette
vorlegen. Er bevorzugt, wie er sagt, einen eher konservativen, das heißt
eingeschränkten Einsatz des Computers.
Horx
(O-Ton):
"...ich
will, daß der Autor, der für mich arbeitet, weiß, was der Chefredakteur
redigiert. Und wenn der mir eine Diskette schickt, dann stecke ich die in
meinen Diskettenschacht und dann verändere ich soviel im Text, daß der Autor
überhaupt nicht mehr weiß, was ich verändert habe, oder er muß mühsam
vergleichen zwischen seiner Urversion und meiner Endversion. Papier hat etwas
unheimlich schön Faktisches, dann kann man nämlich mit einem Rotstift drauf
malen, und dann weiß man, was die Kritik war, und das meine ich mit konservativem
Computerumgang, also ich bin nicht der Meinung, daß die gewissermaßen
menschlichen Prozesse innerhalb von geistesschöpfenden Betrieben durch den Computer
wirklich strukturell verändert werden sollten, sondern ich bin der Meinung,
daß sie als technische Hilfmittel eingesetzt werden sollten, wo man kann, das
machen wir hier schon, unsere Autoren haben alle Laptops und schreiben darauf,
und das hat für unseren Verlag den Vorteil, daß wir das einfach auf Lichtsatz
konvertieren können, wir sparen den Setzerberuf. Aber bevor jetzt Korrekturen
und Redigierungen gemacht werden, kriege ich immer einen Papierauszug auf den
Tisch, da sind wir dann wieder ganz konservativ, und das wird dann, wenn diese
Korrekturen genehmigt sind, wird das von unserer Schlußproduktion in den
Computersatz hineingefummelt. Und das finde ich eigentlich als Modell
praktikabel, es gibt auch andere Erfahrungen, daß man mit dieser Technologie
konservativ, aber praktisch umgehen kann: Unsere Typographen ... haben sich
eine sehr konservative Typographie entwickelt, die aber mit der Computertechnologie
trotzdem sehr viel flexibler geworden ist. Und die können jetzt eben Buchstaben
nicht einfach nur stauchen und quetschen, was eine Verfremdung ist, sonders
sie können auch sehr sehr intensiv an Typographien jetzt feilen. ...Die haben
quasi so ein Ethos wie die alten Gutenberg-Freaks, ... unsere Typographen haben
eine Selbstwahrnehmung wie ein Bleisetzer, die sind Handwerker, aber sie
benutzen moderne Technologie, um eigentlich ihr Handwerk zu erweitern, um
jeden einzelnen Schritt, den man früher hätte mühsam wieder aus dem Blei gießen
müssen, können sie jetzt ganz schnell auf dem Bildschirm nachvollziehen."
2.Sprecher:
Das ist der
Versuch, den Computer pragmatisch als Werkzeug in Gebrauch zu nehmen, ohne
seiner Faszination zu verfallen und allzuviel von ihm zu erwarten. Die
eigentlich schöpferische Arbeit soll im Individuum stattfinden, jedenfalls
nicht in einer Auslieferung an die Logik des Computers.
Ganz anders
sieht dies Friedrich Kittler. Immer schon sei es in unserer Kulturtradition um
Speicherung von Informationen gegangen, nur habe man das mit humanistischen
Vorstellungen vom einsamen schöpferischen Subjekt und seinen einzigartigen
Werken zu kaschieren gewußt. Alle Kultur sei nichts als Datenverarbeitung gewesen,
alles andere nur Maskerade. Und heute werde dies mit der modernen
Informationstechnologie endlich offenbar.
Kittler
(O-Ton):
"Die
prinzipielle Umstellung, die der Computer gebracht hat, ist, daß er zwar nach
außen weiterhin uns auf dem Bildschirm oder Drukker uns Schrift ausgibt, daß
er aber intern die Schrift behandelt wie alle anderen mathematischen
Zahlenkolonnen auch, und daß er in Wahrheit eine Rechenmaschine und keine
Schreibmaschine ist. Aber eine Rechenmaschine, die so gut ist, daß sie uns
Idioten, Usern, Benutzern, manchmal wenn wir es wollen oder dafür bezahlen, vortäuschen
kann, sie sei eine Schreibmaschine und würde nur den Status unserer Texte
modifizieren, in Wahrheit modifiziert sie viel mehr, weil man schon sagen kann,
(...) unter Bedingungen des einzigen Schriftmonopols (...), da gab es ja
kulturell nur das, was geschrieben hatte werden können, und die Mathematik war
so ein kleiner Spezialistenbereich am Rand des großen Pools dessen, was sich
alles schreiben ließ. Und heute ist das, was sich schreiben läßt, vielleicht
umgekehrt eine winzige, den Menschen zugewandte Oberfläche eines unendlich
großen Kontinents, in dem gerechnet wird, und in dem die Natur selber rechnet,
in dem die Naturwissenschaftler mit der Natur rund um die Natur rechnen, fast
in einer Art von strategischer challenge. Und daß wir dann so entlastet an der
Computerschreibmaschine sitzen, scheint mir ein Nebeneffekt der Dinge zu
sein."
1.Sprecher:
Das
Schreiben von Texten ist für den Computer nur eine Möglichkeit unter anderen.
Er sieht zwar aus wie eine Schreibmaschine, ist aber sehr viel mehr. Mit ihm
triumphiert der Maschinencode über die alte Schrift.
In der Tat:
Wir schreiben mit einer Rechenmaschine. Das führt der angeschlossene
Nadeldrucker eindrucksvoll vor Augen. Schrill wie eine Kreissäge sticht er die
Zeilen abwechselnd vorwärts und rückwärts aufs Papier, er funktioniert eben
gemäß einer Steuerlogik, die jenseits der Symbolik der Sprache und der Ordnung
unserer Schrift liegt. Der Textcomputer schreibt nicht, er simuliert die
Schrift.
Aber wir
kaufen uns die Computer auch nicht, nur um mit ihnen zu schreiben, sondern um
an den zukünftigen Möglichkeiten der Kommunikation teilzuhaben. Wenn die
Kommunikation zwischen Menschen in der Zukunft entscheidend über Maschinen
vermittelt ist, dann wird es vor allem eine intensive Kommunikation zwischen
Mensch und Maschine geben.
Anstatt zu
schreiben sollten wir vielleicht programmieren lernen. Dazu müssen wir uns auf
eine andere Schrift einlassen, die mit den Zeichen spielt und rechnet.
Bildet sich mit
den neuen Medien ein neues Selbstverständnis des Menschen: nicht mehr so
kritisch und wertend im Umgang mit seinen Möglichkeiten, sondern spielerischer
und offener? Wobei sich dieses Spielerische als strategischer Umgang mit
Befehlen erweist?
2.Sprecher:
Die gegen
Ende des 2.Weltkriegs entwickelten Computer trugen entscheidend mit zum Sieg
der Alliierten über das Hitler-Deutschland bei, indem der englische Computer
die deutschen Militärbefehle entschlüsselte. Aber nicht die
kriegstechnologische Herkunft macht den Computer zu einer in seinem Wesen
kriegerischen Maschine. Seine innere Logik selber ist eine wesentlich strategische,
denn seine Operationen reduzieren sich letztlich auf Entscheidungen zwischen
zwei Werten, 'Ja' und 'Nein', 'Strom fließt' oder 'Strom fließt nicht'. Daraus
bauen sich dann immer komplexere Befehlszusammenhänge und Entscheidungslogiken
auf. Der Umgang mit dem Computer ist ein strategischer Dialog, der alle
Inhalte und Probleme in Befehlszusammenhänge übersetzen will. Was darin nicht
aufgeht, die Fragen nach dem Warum und Wozu, fällt heraus.
1.Sprecher:
Mit der
technologischen Entwicklung, die sich im Computerbereich abzeichnet, stehen
unserer Schriftkultur weitere Veränderungen bevor. Noch benutzt man den
Computer vor allem als komfortable Schreibmaschine. Aber welche Auswirkungen
werden die Spracherkennungs-Computer haben, die das Gesprochene selber in
geschriebenen Text unmittelbar umwandeln können? Oder welche Folgen wird die
Vernetzung der Computer untereinander und mit anderen Medien haben, wodurch sie Durchgangsort und
Steuerungszentrum für alle Datenflüsse werden, für Worte, Texte, Bilder, Töne?
Dann wird
sich spätestens zeigen, daß sie mehr
sind als Schreibmaschinen. Dann
werden sie zu Umschlagplätzen gigantischer Informationsflüsse. Man kann
fasziniert sein von der Vision einer sogenannten "informatisierten
Gesellschaft" mit freiem Zugang zu allen Datenspeichern. Man kann aber
auch skeptisch sein, ob die Menschheit mit der auf sie einbrechenden
Informationsflut wird umgehen können. Der Medienkritiker Jean Baudrillard
prognostiziert "eine Überfüllung und Überfettung der Gedächtnissysteme und
Informationsspeicher, die von nun an nicht mehr handhabbar sind".
2.Sprecher:
Wird sich
ein willkürlicher, nur noch strategischer Umgang herausbilden im Verhältnis
zum Anderen und zur Welt, als hilflose Antwort auf die Desorientierung durch
Informationsüberfluß? Auch Texte und Bücher werden dann nicht mehr Gegenstände
des Verstehens und der Selbstreflexion, sondern Informationen sein, mit denen
man pragmatisch operiert, die man auseinandernehmen und neu arrangieren kann,
in einer Lust an Verbindungen ohne Verbindlichkeit.
Informationen
ersetzen keine Erfahrung. Deshalb können wir noch so gut informiert sein, dies
heißt noch nicht, daß wir etwas auch wirklich wissen. Und wenn uns die
Erfahrung fehlt, dann werden wir auch keine Fragen mehr haben. Ein
amerikanischer Computerspezialist hat das einmal so formuliert: "Der
Computer ist die Lösung. Was uns jetzt noch fehlt, ist das Problem."