Th. W.
Adorno, O-Ton:
Kant hat …. in seiner Schrift gesagt:
“Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? - So
ist die Antwort: Nein, aber in einem Zeitalter der Aufklärung.” … Ob wir
heute noch in der selben Weise sagen
können, dass wir in einem Zeitalter der Aufklärung leben, ist angesichts des
unbeschreiblichen Drucks, der auf die Menschen ausgeübt wird, einfach durch die
Einrichtung der Welt und bereits durch die planmäßige Steuerung auch der
gesamten Innensphäre durch die Kulturindustrie in einem allerweitesten Sinne
sehr fragwürdig geworden.
Sprecherin:
In diesem Radiogespräch aus dem Jahr 1969 stellte der
Philosoph Theodor W. Adorno den Erfolg der Aufklärung in Frage. Er bezweifelte,
dass die Aufklärung ihrem Anspruch gerecht geworden und den Menschen Freiheit,
Selbstbestimmung und ein friedliches Zusammenleben gebracht habe. In seinen
Schriften ging Adorno mit der Kritik noch einen Schritt weiter. Er behauptete,
dass die Aufklärung in einen Massenbetrug umgeschlagen sei, der von der
Kulturindustrie inszeniert würde. Dabei sei die Kultur zu einem Amüsierbetrieb
verkommen, der die Menschen betäube und von der Erfahrung der Wahrheit
wegführe.
Sprecher:
Ist Adornos Anklage heute obsolet geworden? Handelt es
sich um das Lamento eines wertkonservativen Kulturkritikers, dem in der
Gegenwart kaum jemand Gehör schenkt, nachdem in unserem Alltag mediale
Bilderfluten und Reklamewelten schon selbstverständlich geworden sind?
Sprecherin:
In den fünfziger und sechziger Jahren reüssierte der
Begriff der Kulturindustrie, den Theodor Adorno und Max Horkheimer im
amerikanischen Exil der vierziger Jahre geprägt hatten. Der Begriff wurde zum
Schlagwort, bis er irgendwann zu einem Kritikklischee gerann, dessen
ursprüngliche Bedeutung und genauer Umfang verloren gegangen waren.
Adorno jedoch bezog Kulturindustrie in einem präzisen Sinne
auf die Kunstformen in der medialen Öffentlichkeit, es ging ihm konkret um
populäre Musik, um Film und Radio, um Fernsehen und Illustrierte.
Auch der zweite Begriffsteil industriell hatte eine
präzise Bedeutung, wie der Adorno-Kenner Günter Seubold erläutert, der
Philosophie an der Universität Bonn lehrt.
Günter Seubold, O-Ton:
Adorno versteht hier unter industriell vor allem
zweierlei, nämlich die Rationalität der Verbreitungstechniken, man orientiert
sich an einem Markt, so wie man das bei jedem anderen Produkt auch tut, auch
bei einem Handwerksprodukt, so gilt das auch für Kulturdinge, für Kulturwaren,
wie der adornosche Begriff ist, also die Rationalität der Verbreitungstechnik
ist industriell, man lauscht gewissermaßen auf die Bedürfnisse des Marktes, und
in einem anderen Sinne industriell ist vor allem die Technizität der
Herstellungsweise, hier ist vor allem gemeint die Typisierung etwa im Sinne,
was den Film betrifft, des Westerns, oder des Arztromans in der Literatur.
Sprecher:
“Der Kerl schreibt ja für Geld”, soll der alternde
Beethoven bei der Lektüre eines Romans von Walter Scott ausgerufen und das Buch
empört beiseite geschleudert haben. Adorno kolportierte die Episode mit dem
Hinweis darauf, dass Beethoven sich in derselben Zeit durchaus als
Geschäftsmann erwies, der für die Verwertung seiner sperrigen letzten Quartette
kämpfte.
Adorno ging es also nicht darum, grundsätzlich die
Verbindung von Kultur und Kommerz zu geißeln, wohl aber um die Frage der
Priorität. Ist ein Bild, ein Text, eine Musik zu allererst inhaltlich bestimmt,
bleibt also die Marktfrage nachgeordnet? - Oder aber steht das ökonomische
Interesse an erster Stelle, bestimmen Verkaufszahlen und Einschaltquoten, wie
und was geschrieben, gefilmt oder komponiert wird?
Sprecherin:
Ein Blick in den kulturellen Raum, insbesondere der
Massenmedien zeigt, dass die Kommerzialisierung und Nivellierung der Inhalte
fortgeschritten ist. Denn aus der Vielzahl der privaten Fernsehprogramme
erwuchs keine Vielfalt, sondern eine zunehmende Uniformität, deren Abdruck auch
in den öffentlich-rechtlichen Kanälen sichtbar wird: Ein Sog des Gefälligen,
eine Tendenz zum Unterhaltsamen macht sich allenthalben breit, so dass sich –
wie in Amerika - Nachrichtensendungen zu
News Shows wandeln, wo Information mit Werbung durchsetzt, mit Publicity und
Small Talk garniert wird. Offenbar geht es in den News Shows weniger darum,
Nachrichten zu verbreiten als gute Laune.
Günter Seubold:
Günter Seubold, O-Ton:
Zunächst muss man einmal sagen, gegen die
Unterhaltungskomponente spricht nichts, würde ich sagen und würde das
auch mit Adorno zu legitimieren versuchen, gegen die Komponente spricht nichts.
Das heißt, es muss ein Spaßmoment in jeder Tätigkeit geben, denn erst durch
dieses Spaßmoment wird die Sache für uns interessant. Kritisch im Sinne Adornos
wird das nur, wenn man das Buchlesen oder die Kunst im weiteren Sinne auf diese
Spaßkomponente reduziert. Das ist eigentlich dasjenige, was Adorno kritisiert,
und was man, wie ich meine, heute mit Adorno zu kritisieren hat. Die
Reduzierung eines umfassenden Phänomens auf das eingeschränkte Phänomen Spaß, auf
Spaß-haben-wollen.
Sprecher:
Prodesse et delectare – Nutzen und erfreuen soll die
Dichtkunst, schrieb Horaz in seiner Poetiklehre. Traditionelle Ästhetik kannte
seit ihren Anfängen eine Verbindung von Unterrichten und Unterhalten, von
schwierigem Gehalt und leichtem Genuß. Was jedoch heute in der so genannten
Spaßkultur geschieht, ist die Unterwerfung jeglichen Stoffes unter das Prinzip
der Unterhaltung. Während Adorno dieses Problem mit dem Begriff der Kulturindustrie
noch auf schöngeistige Bereiche eingrenzte, markiert das Wort von der
Spaßkultur die Ausweitung des Prozesses auf den gesamten gesellschaftlichen
Raum. Nun sollen auch Bereiche wie Wissenschaft und Schule, Religion oder
Politik vor allem eines vermitteln: Spaß. Politiker werben nicht mehr durch
Argumente und Programme, sondern durch Auftritte in Spielsendungen oder machen
Wahlkampf nach Art eines Pop-Stars.
Sprecherin:
Aber die einseitige Ausrichtung am Vergnügen hat ihren
Preis: Unterhaltsam, spaßig und leicht verdaulich an einer Sache sind all die
Momente, die mit Vertrautem spielen und sich daher mühelos aneignen lassen, -
ausgespart jedoch bleiben jene Momente, die wirklich Neues bieten, die
Sperriges zumuten und Erfahrungsprozesse anstoßen.
“Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit” schrieb
Adorno.
Sprecher:
Diese These hat Günter Anders, ein anderer
zeitgenössischer Denker, am Beispiel des Fernsehens belegt. Das Fernsehen meide
sperrige Bilder, damit – so Günter Anders -
‚der Kulturbrei glatt hinuntergeht’.
Das Fernsehen verbiedere die Welt, es zeige sie immer schon als die
unsrige, so dass wir uns im Gezeigten wiedererkennen, ohne uns erst suchen zu
müssen.
Die Spaßkultur liefert fertiges Identitätsdesign,
anstatt Prozesse der Bildung und Weiterentwicklung von Persönlichkeit zu fördern.
Der amerikanische Medientheoretiker Neil Postman befürchtet in seinem
gleichnamigen Buch“Wir amüsieren uns zu Tode”.
Adornos Konzept der Kulturindustrie scheint deshalb
keineswegs obsolet, sondern führt geradewegs hinein in die die gegenwärtige
Diskussion um Spaßkultur und Erlebnisgesellschaft.
Musik
Th. W. Adorno: Sechs Studien für Streichquartett
(1920),
Sprecherin:
Das Werk Adornos hatte in den vergangenen beiden
Jahrzehnten ein recht unterschiedliches
Schicksal. Während die ästhetischen Schriften durchgängig aufgenommen
und diskutiert wurden, war es um seine philosophischen und
gesellschaftstheoretischen Arbeiten still geworden. Neue Zugänge sondiert Ende
September das Frankfurter Institut für Sozialforschung, dessen Direktor nach
dem Krieg Theodor Adorno lange Zeit war. Heute leitet das Institut Axel
Honneth, der zugleich Philosophie an der Frankfurter Universität lehrt.
Axel Honneth, O-Ton:
Wir planen eine sehr große Veranstaltung, die in
Kooperation sowohl mit dem Hessischen Rundfunk als auch mit dem Institut für
Musikwissenschaft durchgeführt wird, insgesamt wird sich das über fünf bis
sechs Tage hinziehen. Den Auftakt werden wir – d. h. das Institut für
Sozialforschung - machen mit einer größeren
gesellschaftsphilosophischen Tagung, die unter dem Titel ‚Dialektik der
Freiheit’ sechs bis sieben Plenarien stattfinden lassen wird, und eine Serie
von Workshops zu Einzeltiteln von Adorno.
Die ganze Idee dieser Veranstaltung, also des
philosophisch-soziologischen Teils dieser größeren Veranstaltung, ist, die
Kluft zwischen der Adorno-Lektüre, d.h. der eher sektiererhaften Rezeption der
Schriften Adornos, und dem Mainstream der Philosophie und Sozialwissenschaften
wieder stärker zu schließen.
Sprecher:
Im Kontext des 100. Geburtstages von Theodor Adorno
finden zahlreiche Veranstaltungen im In- und Ausland statt. Die Skala reicht
von Symposien und Seminaren, über Vorträge und Lesungen bis hin zu Konzerten.
In der Vielfalt spiegeln sich das breite Tätigkeitsspektrum Adornos und sein
großer Einfluß. Das Museum Strauhof in Zürich präsentiert eine Ausstellung zu
Leben und Werk Adornos, die im November nach Frankfurt kommt.
Sprecherin:
Und Adornos Lebensgeschichte versuchen mehrere neu
erscheinende Biographien zu erschließen, darunter die Arbeit des Oldenburger
Soziologen Stefan Müller-Doohm, die im Rahmen eines sechsjährigen
Forschungsprojektes entstand. Stefan Müller-Doohm, der selber bei Adorno
studierte, spricht ihm eine außerordentliche Rolle im Geistesleben der jungen
Bundesrepublik zu.
Stefan Müller-Doohm, O-Ton:
Ich würde zunächst einmal sagen, dass Adorno deshalb
für uns wichtig und aktuell ist, weil er zu den Philosophen und Soziologen
gehört, die wie kein anderer das Bild der Wirklichkeit geprägt haben, das eine
ganze Generation oder ganze Generationen gehabt haben. Die Generation derer,
die im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen sind, gingen alle bei Adorno zur
Schule. Und er hat das Bewusstsein, die Intellektualität, das Bild der Moderne
bei dieser Generation entscheidend geprägt.
Und vor diesem Hintergrund scheint es mir bedeutsam zu
sein herauszufinden, wer das eigentlich war, woraus diese Wirkungsmächtigkeit
sich erklärt und was uns damals fasziniert hat. Die Faszination, die Adorno
damals für mich hatte, wollte ich jetzt als Älterer Soziologe besser begreifen.
Musik:
Adorno, Kompositionen: Sechs kurze
Orchesterstücke, op. 4 (1929)
Track 5, 0’17
Sprecher:
Theodor Wiesengrund Adorno wurde am 11. September 1903
in Frankfurt am Main geboren. Er wuchs in einem assimilierten jüdischen
Bürgerhaus auf: der Vater war ein erfolgreicher Weingroßhändler, die Mutter vor
der Hochzeit Opernsängerin in Wien. Vor allem die Mutter und ihre ebenfalls
musisch begabte Schwester Agathe prägten den jungen Adorno. Jeden Tag wurde gesungen und Klavier
gespielt. Bald gelang es dem Jungen bloß nach Gehör die Partiturseiten
umzublättern, lange bevor er die Noten kannte. Und hier lernte er auch
Baudelaires Gedichte kennen, die auf Französisch vorgetragen wurden. Geborgen
in diesem feinsinnigen hochkultivierten Elternhaus wuchs Adorno nach eigenen
Worten wie eine Treibhauspflanze heran.
Sprecherin:
Mit 17 Jahren kam der hochtalentierte bereits an die
Universität und erwarb in kurzer Zeit den Doktor der Philosophie. Aber seine
Liebe zur Musik zog ihn nach Wien, wo er voller Bewunderung für den
Musik-Revolutionär Arnold Schönberg bei Alban Berg Komposition studierte. Doch
dann kehrte er zur Philosophie und nach Frankfurt zurück. Unklar bleibt bis
heute, warum seine Komponistenkarriere gescheitert ist.
Anders sieht das Stefan Müller-Doohm, der Biograph:
Stefan Müller-Doohm, O-Ton:
Es ist nicht gescheitert, Adorno hat sich sein Leben
lang nicht entscheiden können. Er wollte nicht akzeptieren, nur Philosoph, nur
Soziologe, nur Literaturkritiker oder nur Komponist zu sein, er wollte alles
zugleich sein. Das macht das Faszinierende dieser Figur aus, diese Vielfalt, er
ist sozusagen ein universal Gebildeter, der versucht in all diesen Bereichen
tätig zu sein. Er hat sein Leben lang komponiert, und in den verschiedensten
Gattungen doch auch hörenswerte Werke hinterlassen, die zuweilen auch
aufgeführt werden.
Musik:
Adorno, Sechs kurze Orchesterstücke, 0p
4 (1929) Track 7, 0’18
Sprecher:
In Frankfurt nahm Adorno intensiv am Musikleben teil,
er komponierte, schrieb Kritiken und suchte auch in der Philosophie nach einem
eigenen Weg. Dabei näherte er sich dem linksgerichteten Kreis Max Horkheimers
an, der Ende der 20er Jahre die Leitung des jungen Instituts für Sozialforschung
übernahm.
Während Horkheimer die Schatten des
Nationalsozialismus heraufziehen sah und seine Emigration konsequent
vorbereitete, klammerte sich Adorno so lange wie irgend möglich an die Hoffnung,
in Deutschland zu bleiben. Als er schließlich nach dem Entzug seiner
Lehrerlaubnis 1934 nach London emigrierte, konnte er dort keine adäquate Stelle
an der Hochschule erhalten. Adorno musste - obgleich in Deutschland habilitiert
- mit dem Status eines postgraduierten Forschungsstudenten vorlieb nehmen. Immer wieder kehrte er zu
Aufenthalten nach Deutschland zurück, wo er noch 1935 die Sommerferien
verbrachte.
Doch die Konfrontation mit dem Totalitarismus in
doppelter Gestalt - Nationalsozialismus und Stalinismus -, der Schock des
Holocaust und die Bitterkeiten des Exils veränderten ihn selbst und auch sein
Denken.
Stefan Müller-Doohm, O-Ton:
Die Exilerfahrung war ganz zentral für Adornos
Politisierungs- und Radikalisierungsprozeß, er war durch die Rassengesetze der
Nazis zum Außenseiter gestempelt. Und er erfährt sich jetzt erst - durch diese
kontingente Zuschreibung - als Jude und als Linksintellektueller, der nun eine
ganz andere Sicht auf die Welt entwickelt und der diese Welt nun infrage
stellt. Die Radikalität seines Denkens verdankt sich genau dieser Erfahrung des
Draußenstehens, des Außenseiterdaseins, dass er eben nicht Teil dieser
Gesellschaft ist, Teil der deutschen Kultur sein kann, sondern gewissermaßen
herausgeschmissen wird. Und diese Erfahrung ist ganz wichtig für die
Entwicklung seiner kritischen Gesellschaftstheorie - zunächst die ersten Jahre
im Exil, die er in England, in Oxford verbringt, dann in New York und Los
Angeles, wo die bedeutenden Werke entstehen, ‚Dialektik der Aufklärung’, ‚Minima
Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben’. – Genau das ist es, das
beschädigte Leben ist das Leben im Exil.
Musik:
Adorno, Sechs Studien
für Violinquartett, (1920) Track 7, 0’24
Sprecherin:
Die Schrift ‚Minima Moralia’, eine Sammlung
moralpsychologischer und -philosophischer Miniaturen zeugt von der Sensibilität
Adornos, vom Feingefühl seiner Sprache, einzig vergleichbar dem Werk
'Einbahnstraße' seines älteren Freundes Walter Benjamin. Adorno findet Ausdruck
für die Verletzlichkeit der menschlichen Existenz, zum Beispiel in jenem
Aphorismus über die Liebe:
Zitator:
“Geliebt wirst Du einzig, wo du schwach Dich zeigen
darfst, ohne Stärke zu provozieren.”
Sprecher:
Im Exil entstehen die ersten Hauptwerke: Neben „Minima
Moralia“, auch „Philosophie der Neuen Musik“, und gemeinsam mit Max Horkheimer die
Schrift – „Dialektik der Aufklärung“. Dieses Werk stellt die
vernunftorientierte Philosophie bis in ihre Grundfesten infrage. Es setzt ein
mit der These:
Zitator:
Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn
fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu
nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde
strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.
Sprecherin:
War es kein historischer Betriebsunfall der Moderne,
dass im hochkultivierten aufgeklärten Deutschland ein monströser Rückfall in
die Barbarei sich ereignen konnte? Läuft vielleicht etwas falsch, was bis in
die Grundlegung des abendländischen Denkens hineinreicht?
Sprecher:
Adorno und Horkheimer erklären, dass in der Vernunft
seit den Anfängen ein fataler Wille zum System, ein Zwang zur Vereinheitlichung
wirksam sei. Die Vernunft will die Vielfalt der Phänomene ordnen und in eine
begriffliche Einheit bringen. Die begriffliche Einheit aber ist im letzten immer
die Systematik der Vernunft selbst, die dem Anderen aufgenötigt wird. Das
unterdrückte Andere kann die äußere Natur oder die innere Natur, der eigene
Körper, oder aber auch die Person des Mitmenschen darstellen, der einer anderen
Klasse, Religion oder Kultur angehört.
Sprecherin:
Adorno und Horkheimer vollziehen eine selbstkritische
Aufklärung über die Aufklärung, die zwar die Vernunft als solche nicht fallen
läßt, aber gegen ihren Triumph in einer verzerrten Form Einspruch erhebt. Eine
auf Herrschaft ausgerichtete Rationalität habe die moderne Welt durchdrungen
und vollständig unterworfen. Adorno nennt es eine " verwaltete Welt",
in der der Einzelne entfremdet und ohnmächtig auf sich zurückgeworfen sei. Das
menschliche Subjekt, so Adorno in einem Vortrag, verliere seine Individualität
und Freiheit.
Th. W. Adorno, O-Ton:
Die Menschen büßen die Eigenschaften ein, die sie
nicht mehr brauchen und die sie nur behindern; der Kern von Individuation
beginnt zu zerfallen. Erst in jüngster Zeit werden Spuren einer Gegentendenz
gerade in verschiedensten Gruppen der Jugend sichtbar; Widerstand gegen blinde
Anpassung, Freiheit zu rational und autonom gewählten Zielen, Eingedenken der
Möglichkeit von Veränderung. Ob demgegenüber der gesellschaftlich sich
steigernde Destruktionstrieb doch triumphiert, wird sich weisen.
Sprecher:
Adornos Worte der Hoffnung galten einer aufbegehrenden
Jugend. Viele kamen zum Studium zu ihm nach Frankfurt, nachdem er 1949 trotz
aller Bedenken nach Deutschland zurückgekehrt war. Die Studenten der 68er
Generation lasen die „Dialektik der Aufklärung“ ebenso wie die Schriften
Herbert Marcuses und Ernst Blochs, aber ihr Verhältnis zu Adorno war
angespannter.
Adorno, der doch von Praxis und Widerstand sprach,
sollte sich ihrer Bewegung aktiv anschließen, sollte - wie Sartre - mit auf die
Straße gehen. 1968 spitzte sich die Situation immer mehr zu: Der Vietnam-Krieg,
die Verabschiedung der Notstandsgesetze, die Pariser Mai-Revolte der Studenten
und Arbeiter, die Schüsse auf Rudi Dutschke. Adorno warnte vor Aktionismus, er
fürchtete die steigende Gewaltbereitschaft der Bewegung - Jürgen Habermas
sprach damals sogar von einem Linksfaschismus - und zog sich immer mehr auf das
Feld reiner philosophischer Reflexion zurück.
Sprecherin:
Im Januar 1969
kam es endgültig zum Bruch. Adorno glaubte, dass die Studenten das
Institut für Sozialforschung besetzen wollten und rief die Polizei, um es
räumen zu lassen. Im nachfolgenden Prozess gegen seinen Doktoranden Hans-Jürgen
Krahl ließ der Staatsanwalt durchscheinen, dass er ohnehin Adorno selber für
den eigentlich Verantwortlichen hielt. Verbittert forcierte Adorno seine
Abreise zu einem Ferienaufenthalt in der Schweiz, wo er im August 1969 starb.
Musik
Adorno: Zwei Stücke für
Violinkonzert, op 2 (1924/25) Variationen, `20
Sprecher:
Adornos Diagnose einer vollends verwalteten Welt
erscheint heute vielen als düster und einseitig. Waren die Schatten des
Holocaust und des Totalitarismus zu groß, und in Adornos eigener Erfahrung
allzu mächtig, als dass ein ausgewogeneres Bild der Moderne entstehen konnte?
Müsste man Adornos Urteil heute nicht revidieren?
Günter Seubold:
Günter Seubold, O-Ton:
Vieles ist natürlich zeitbedingt von diesen Analysen
Adornos und Horkheimers. Aber viele grundlegende Einsichten und Erkenntnisse
sind gerade für unsere Zeit nach wie vor aktuell. … Nehmen wir unser Verhältnis
zur Dritten Welt: Sind das nicht die neuen Sklaven? Kaufen wir nicht den Kaffee
für ein paar wenige Eurocent ein, und die Leute darben an der Hunger- und
Armutsgrenze? Muten wir nicht den Kreaturen ein erbärmliches Leben zu, nur weil
wir unsere Frühstückseier für einige wenige Eurocent haben wollen?
Diese Fragen sind nach wie vor aktuell. Wir sollten
nicht glauben, wir leben hier in friedlichen
Zeiten, sondern wir sind totalitär auf andere Weise und meinen dann
unser moralisches Gewissen beruhigen zu können durch ein Ministerium, das die
wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern hat, oder Wohltätigkeitsveranstaltungen.
Das sind Brosamen, die wir den Leuten vorher weggenommen haben, aber nicht als
Brosamen, sondern als richtige Nahrungsmittel, als Tonnen von Nahrungsmitteln
weggenommen haben, - und das ist das Totalitäre an dem ganzen System. Leider
wagt es niemand so direkt auszusprechen, aber es ist, wenn man ehrlich ist,
nicht anders zu fassen.
Sprecherin:
Die Unterdrückung der Dritten Welt ebenso wie die
Ausbeutung der Natur belegen nach Günter Seubold jene fortdauernde Gewalt, von
der Adorno spricht. Eine Gewalt, die nicht von außen gelegentlich einbricht,
sondern systematisch ausgeübt wird und sich dabei der Mittel von Recht und
Gesetz, von Wissenschaft und Technik bedient.
Sprecher:
Aber ist Adornos Bild nicht gleichwohl zu einseitig,
wenn man etwa auf die politischen Verhältnisse der westlichen Gesellschaft
schaut? Adornos Kategorischer Imperativ lautete, dass sich Auschwitz nicht
wiederhole. Tatsächlich gilt es in immer neuen Anstrengungen den Versuchungen
des Rassismus, der Ausländerfeindlichkeit und der Diskriminierung von
Minderheiten zu wehren.
Bei diesen Problemen hat die deutsche Gesellschaft in
den letzten fünfzig Jahren durchaus demokratische Reife bewiesen. Solche
Differenzierungen aber lassen sich kaum in Adornos Bild eintragen. Axel Honneth
hält es deshalb nicht für angemessen, Adornos Gesellschaftstheorie wortwörtlich
auf die Gegenwart zu übertragen.
Axel Honneth, O-Ton:
Ich glaube, wir müssten heute anders operieren: wir
sollten vielmehr die quer liegenden Elemente in seinen soziologischen
Schriften, in seiner Gesellschaftsanalyse stark machen. Es gibt nämlich immer
auch eine gegenläufige Tendenz, in fast allen seinen Schriften: da muss man
zwar sehr genau hingucken, aber es gibt auch eine genaue Registrierung von
Widerstandspotenzial, es gibt eine sehr große Aufmerksamkeit für widerspenstige
Gesten, für intellektuelle Tugenden, für ästhetische Sensibilitäten, selbst in
dieser von ihm als verwaltet beschriebenen Welt.
Sprecherin:
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ - So
lautet einer der berühmtesten Sätze der ‚Minima Moralia’. Ein Satz, der ebenso
provozierend, wie vielsinnig ist und gerade in seiner Kürze zu langen
Interpretationen einlädt:
‚Es gibt kein richtiges Leben im falschen’, wirft
zweieinhalbtausend Jahren Philosophie den Fehdehandschuh hin. Denn die
Tradition hatte stets dazu aufgefordert nach dem richtigen, dem moralisch guten
Leben zu streben - und sie war überzeugt, dass dieses Ziel ungeachtet
gesellschaftlicher Verhältnisse auch zu erreichen sei. Adorno hingegen
behauptet, dass es in der bestehenden Gesellschaft, wo alles vom
kapitalistischen Tausch infiziert sei, kein richtiges Leben geben könne.
Sprecher:
Doch was ist die Konsequenz? Der Gedanke: ‚Es gibt
kein richtiges Leben’ - kann zu Resignation und Melancholie führen, sogar zum
Sturz in Depression.
Der Satz kann aber auch konstruktiv gelesen und
weitergedacht werden - Es gibt kein richtiges Leben im falschen - ergänze:
solange nicht, bis die Gesellschaft verändert ist, also als Aufruf zur Praxis,
zur Veränderung der Verhältnisse.
Sprecherin:
Adorno neigte paradoxerweise zu beiden Konsequenzen:
Einerseits glaubte er, das schlechte Allgemeine sei übermächtig. Einspruch
gegen seine Herrschaft gebe es allenfalls in der ohnmächtigen Sensibilität des
Einzelnen und im Ausdruck der Kunst.
Andrerseits hielt Adorno am Grundgedanken der
Aufklärung ganz im Sinne Kants fest: an der Idee der Mündigkeit des einzelnen
Individuums, das den Mut hat sich seines Verstandes ohne Hilfe eines anderen zu
bedienen. Adorno forderte eine Erziehung zur Mündigkeit, aber nicht in einem systemkonformen
Sinne, dass die Menschen turnusmäßig bei den Wahlen ihre Stimme abgeben. ansonsten
jedoch politisch den Mund halten.
Th. W. Adorno, O-Ton:
Ich würde auf die Gefahr hin, dass Sie mich einen
Philosophen schelten, der ich nun einmal bin, sagen, dass die Gestalt, in der
Mündigkeit sich heute konkretisiert, die ja gar nicht ohne weiteres
vorausgesetzt werden kann, weil sie an allen, aber wirklich an allen Stellen
unseres Lebens überhaupt erst herzustellen wäre, dass also die einzige wirkliche
Konkretisierung der Mündigkeit darin besteht, dass die paar Menschen, die dazu
gesonnen sind, mit aller Energie darauf hinwirken, dass die Erziehung eine
Erziehung zum Widerspruch und zum Widerstand ist.
Musik
Adorno: Zwei Stücke für
Violinkonzert, op 2 (1924/25) Variationen, `23
Sprecher:
Adorno beteiligte sich aktiv an der „Erziehung zur
Mündigkeit“, wie der Titel eines seiner Radiogespräche lautete. Adorno übernahm
die Rolle des Intellektuellen in der Öffentlichkeit, der an der Herausbildung
kritischen Bewusstseins mitwirken will. Kein anderer Philosoph war während der
sechziger Jahre so präsent im Radio und Fernsehen wie Th. W. Adorno. Zu den Themen
seiner zahlreichen Vorträge und Gespräche gehörte vor allem die „Aufarbeitung
der Vergangenheit“ in Deutschland, und die Erziehung zu einer kritischen
Persönlichkeit, aber auch Aufgaben der Philosophie an der Schule, oder die
Beurteilung des Fernsehens. Und hier zeigte Adorno ein anderes Gesicht. Neben
dem hermetisch schreibenden Philosophen, der schwer zu lesen ist, tauchte ein leicht verständlicher Redner und
streitbarer Intellektueller auf.
Axel Honneth, O-Ton:
Es ist tatsächlich so, dass er diese große Leistung
vollbringt, in seiner Philosophie und Gesellschaftstheorie im Grunde genommen,
hochkomplex weiterzuarbeiten, sicherlich eher in dem Bewusstsein nicht für eine
größere Menge zu schreiben, sondern eher im Sinne der Botschaft an einen
kleinen Kreis von Verständigen, ich glaube nicht, dass er die „Negative
Dialektik“ in dem starken Bewusstsein einer publikumsfreundlichen Schrift
gedacht hat, dass aber dieser Zug seines Wesens einher geht mit einer geradezu
pragmatisch reformistischen Tätigkeit des Intellektuellen im Radio, im
Fernsehen – also die gesamten Medien, die damals zur Verfügung standen - um in
einem beinahe hemdsärmeligen Sinn Aufklärung zu treiben.
Th. W. Adorno, O-Ton:
Ich könnte mir etwa denken, dass man auf den Oberstufen
von Höheren Schulen, aber wahrscheinlich auch von Volksschulen gemeinsam
kommerzielle Filme besucht und den Schülern ganz einfach zeigt, welcher
Schwindel da vorliegt, wie verlogen das ist; dass man in einem ähnlichen Sinn
sie immunisiert gegen gewisse Morgenprogramme, wie sie immer noch im Radio
existieren, in denen ihnen sonntags früh frohgemute Musik vorgespielt wird, als
ob wir, wie man so schön sagt, in einer ‚heilen Welt’ leben würden, eine wahre
Angstvorstellung im übrigen; oder dass man mit ihnen einmal eine Illustrierte
liest und ihnen zeigt, wie dabei mit ihnen unter Ausnutzung ihrer eigenen
Triebbedürftigkeit Schlitten gefahren wird; oder dass ein Musiklehrer, der
einmal nicht aus der Jugendmusikbewegung kommt, Schlageranalysen macht, und
ihnen zeigt, warum ein Schlager oder warum auch meinetwegen ein Stück aus der
Musikbewegung objektiv so unvergleichlich viel schlechter ist als ein
Quartettsatz von Mozart oder Beethoven oder ein wirklich authentisches stück
der Neuen Musik. So dass man einfach versucht, zunächst einmal überhaupt das
Bewusstsein davon zu erwecken, dass die Menschen immerzu betrogen werden, denn
der Mechanismus der Unmündigkeit heute ist das zum Planetarischen erhobene
mundus vult decipi – dass die Welt betrogen sein will.
Sprecherin:
Adornos Kritik an der populären Musik wirkt heute
beinahe altfränkisch, wo die Grenzmauern zwischen ernster und
Unterhaltungsmusik gefallen sind. Und in seinen herabsetzenden Urteilen über
den Jazz kann man ihm Eurozentrismus vorwerfen. Aber Adorno hat sehr früh
erkannt, wie entscheidend auch von philosophischer Seite die Auseinandersetzung
mit massenmedialer Kultur ist. Seine Ideologiekritik will aufzuzeigen, wo und
wie manipuliert wird. Damit reagiert er schon früh auf eine Situation, die erst
gegen Ende des Jahrhunderts universal eingetreten ist: Die Erfahrung der Welt
findet heute in erster Linie über technische Massenmedien statt. Das Bild, das
diese übermitteln, stellt kein Abbild dar, sondern eine Konstruktion. Was den Menschen als Wirklichkeit gezeigt
wird, ist von Interessen gefärbt und mit Lügen durchsetzt. Dem sind die
Menschen in hohem Maße ausgeliefert, auch wenn sie in einer liberalen
Demokratie leben.
Sprecher:
Die Thesen zur Kulturindustrie und ihrem Massenbetrug
orientierten sich nicht an den totalitären Herrschaftssystemen, wo plumpe
Zensur und Propaganda regieren, sondern bezogen sich auf die Schattenseiten der
westlichen kapitalistischen Gesellschaften, insbesondere in den USA. Das
literarische Pendant zu Adornos Kritik findet sich nicht bei George Orwell in
seinem Roman ‚1984’. Denn nicht die Figur eines Big-Brother, der von oben alles
diktiert, der die Menschen wie Sklaven unterdrückt und ausbeutet, spiegelt die
Gefahr, vielmehr droht ein synthetisches Paradies, eine ‚Schöne Neue Welt’, wie
Aldous Huxleys Roman heißt, wo die Menschen mittels Drogen auf Vergnügt- und Glücklichsein
programmiert sind.
Sprecherin:
Der Kreis der Manipulation schließt sich erst dann,
die Ideologie wird erst dort perfekt, wo der Schein der freiwilligen, selbst gewollten
Teilnahme erzeugt wird. Dafür liefert die Fernsehshow "Deutschland sucht
den Superstar" ein aktuelles Beispiel. Ein Publikum von Kindern und
Jugendlichen wird glauben gemacht, es würde den Superstar aus den eigenen
Reihen auswählen und küren, ja der junge Zuschauer soll träumen, er könne auch selbst
zum Star aufsteigen. In Wahrheit erzeugt das Medium den Star, indem die so
genannten Talentsucher die Bewerber auf dem Markt vorsortiert haben.
Günter Seubold:
Günter Seubold, O-Ton:
Die Talentsucher spielen in Adornos Theorie der
Kulturindustrie durchaus eine große Rolle. Nun könnte man bei Sendungen wie ‚Deutschland
sucht den Superstar’ meinen, das sind gar keine Talentjäger, die hier agieren,
sondern es wählt der Fernsehzuschauer oder übertrieben ausgedrückt das Volk.
Das Volk spricht, das Volk wählt im Sinne des Vox populi, vox Dei. Also die
Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes, in dem Sinne wählt das Volk seinen
Superstar. Aber natürlich muss man hier sehen, dass natürlich die Auswahl die
Zulassung der jeweiligen Schlagersänger durch die jeweiligen Agenten, durch die
Talentjäger geschehen ist.
Es ist ja nicht jeder zugelassen, ich glaube es haben
sich Tausende beworben, und es sind …
nur 10 oder dergleichen ausgewählt worden. In jedem Fall war das
verschwindend gering, und in jedem Fall findet schon eine Vorselektion statt,
jemand der nicht in diese Kategorisierung der Talentjäger passt, wird von vornherein
abgelehnt, hat keine Chance, und insofern ist das ein Scheinverfahren, eine
Scheinwahl, wenn man so will, es wird nur angeboten, was gängig ist.
Sprecher:
Aber könnte man Adorno nicht entgegenhalten, dass die
Menschen heute erfahrener und gereifter im Umgang mit der Kulturindustrie und
den Medien sind? Zwar können sie sich der Bilder- und Zeichenflut, der sie
allenthalben ausgesetzt sind, kaum entziehen, aber sie verwechseln deshalb noch
lange nicht Sein und Schein. Die Menschen wissen um die Tricks der Werbung, die
Showeffekte eines Popkonzertes, die Dramaturgie Hollywoods. Mit anderen Worten: es sind aufgeklärte
Konsumenten, keine naiven Gläubigen.
Sprecherin:
Inzwischen hat sich
die Manipulationsspirale allerdings weiter gedreht und seit der Privatisierung
des Fernsehens eine neue Stufe erreicht. Denn die kommerziellen Sender
existieren nicht nur dank der Werbung, wie jeder weiß, sondern vielmehr für
die Werbung. RTL beispielsweise tritt an die werbetreibenden Unternehmen heran
mit dem Angebot, nicht allein hohe Einschaltquoten zu erzielen, sondern mit
Hilfe des Programms die gewünschte Zielgruppe vor den Bildschirm zu holen,
damit die Werbung nicht blind gestreut wird: Am Vormittag die Hausfrauen, am
Nachmittag die Kids und spätabends die Singles und Doppelverdiener mit hoher
Kaufkraft. Insbesondere Serien haben die Funktion, Zuschauer zu binden und auf
diese Weise den von den Werbefachleuten begehrten Mehrfach-Kontakt zu
garantieren.
Das Programm ist für die Werbung da, nicht umgekehrt.
Sprecher:
Auf der Ebene des Privatfernsehens ist damit
eingetreten, was Adorno mit dem Begriff der Kulturindustrie analysiert hat: die
völlige Unterwerfung des Inhalts unter das Geschäft, die totale
Kommerzialisierung.
Streng genommen gibt es gar keinen funktionalen Unterschied
zwischen Programm und Werbung mehr. Das vermeintliche Programm bildet Teil Eins
der Werbung: es selektiert die Zuschauer und stimmt die potentiellen Käufer mit
leichter Unterhaltung auf die visuelle Begegnung mit dem Produkt ein. So stellt
es jenes wohltemperierte Klima her, in dem dann der einzelne Spot - Teil Zwei
der Werbung - einem entspannten und lockeren Publikum serviert wird.
Musik
Adorno: Sechs Studien für ein
Violinkonzert (1920), 0`28
Sprecherin:
Adorno selber verwies - gegen die platonische
Vorstellung einer ewigen Wahrheit – darauf, dass jede Erkenntnis einen Zeitkern
hat, auch seine eigene. Zwar sind die Gedanken frei, aber sie schweben nicht im
luftleeren Raum, sondern orientieren ihren Flug am Horizont von Zeit und Gesellschaft.
Deshalb wäre im einzelnen zu prüfen, welche gesellschaftstheoretischen
Diagnosen Adornos heute noch aktuell und tragfähig sind und welche nicht.
Stefan Müller-Doohm:
Stefan Müller-Doohm, O-Ton:
Ich würde den Akzent nicht darauf legen, wenn ich nach
der Aktualität Adornos frage, sondern eher betonen seinen Reflexionsmodus,
seine Art und Weise des dialektischen Denkens, das Zurückgehen auf
Gesellschaft, die Phänomene so zu betrachten, dass man herausbekommt, worin
ihre gesellschaftliche Bedingtheit besteht, den sozialen Gehalt aus den Phänomenen herauszuholen. … Beispielsweise
seine Analysen über die Soap-Operas, wo er sehr schön zeigt, welche sozialen
Mechanismen darin sind, die Stereotypen und Klischees. Aber ich würde auch
zurückgreifen auf seine Beschreibungen der Freizeit, des Freizeitverhaltens,
oder seine Theorie der Halbbildung oder noch konkreter, was mich damals sehr
fasziniert hat als Soziologiestudent: seine Soziologie des Lachens, wo er
sozusagen aus solchen alltäglichen Phänomenen wie dem Lachen, den Gehalt des
Phänomens herausgeholt hat, also dass dieses Lachen eben nicht etwas rein
Individuelles ist, sondern zu tun hat mit der sozialen Situation, mit
gesellschaftlichen Gegebenheiten, - und darin besteht eine große Leistung
Adornos.
Sprecher:
Adornos Reflexionsweise widersetzte sich allem
Systemdenken und jeder Klassifizierung.
Das Einzelne in ein System einzuordnen oder als Fall einer Regel zu
subsumieren, galt ihm als Herrschaftsgeste auf der Ebene des Denkens.
Stattdessen suchte er ein Phänomen behutsam aufzuschließen, so dass an ihm der
Zustand der Welt und die Verhältnisse sichtbar werden, so dass das Besondere das
Allgemeine kundtut.
In dieser Weise reflektierte Adorno in den Minima
Moralia zum Beispiel über das Schenken:
Zitator:
Die Menschen verlernen das Schenken. Der Verletzung
des Tauschprinzips haftet etwas Widersinniges und Unglaubwürdiges an; da und
dort mustern selbst Kinder mißtrauisch
den Geber, als wäre das Geschenk nur ein Trick, um ihnen Bürsten oder Seife zu
verkaufen. ... Das private Schenken ist auf eine soziale Funktion
heruntergekommen, die man mit widerwilliger Vernunft, unter sorgfältiger
Innehaltung des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und
mit möglichst geringer Anstrengung ausführt. Wirkliches Schenken hatte sein
Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten. Es heißt wählen, Zeit
aufwenden, aus seinem Weg gehen, den anderen als Subjekt denken: das Gegenteil
von Vergeßlichkeit. Eben dazu ist kaum einer fähig.
Sprecherin:
Adornos Denkweise wurde oft essayistisch genannt, aber
das kennzeichnet nur die offene Form, tiefergehend ist sein Denken dialektisch,
an Hegel orientiert, aber ohne versöhnende Synthese. Es bleibt ‚Negative
Dialektik’, wie Adornos spätes Hauptwerk heißt: Nicht feste Definitionen und
starre Begriffe, sondern Widersprüche und Spannungsverhältnisse treiben die
Bewegung des Gedankens voran. Die Reflexion baut ein Kraftfeld auf, in dem
blitzartig Einsichten aufleuchten, Erkenntnisse hervor schießen. Adorno geht es
nicht um Ergebnisse, die sich nach wissenschaftlicher Manier abspeichern und
reproduzieren lassen. Philosophie sei nicht referierbar - schrieb er und traf
damit vor allem den eigenen Denkstil. Seine Spätschriften sind sperrig,
verweigern sich einer schnellen Aneignung.
Und doch scheint gerade darin eine Faszination Adornos
zu liegen, die auch eine neue Generation Studierender anspricht, zum Beispiel
in Bonn, wo Günter Seubold Philosophie lehrt:
Günter Seubold, O-Ton:
Bonn ist zunächst einmal keine Hochburg für Adorno,
aber so weit ich das hier anbiete, ist das Interesse sehr groß, sehr lebhaft,
vor allem in dem Sinne, dass in der gegenwärtigen Zeit es keinen Philosophen
gibt, der so zu denken vermöchte wie Adorno. Die Philosophie heute ist
diszipliniert in einem doppelten Sinne: d.h. sie ist zur Disziplin geworden,
sie beschränkt sich auf einen engen Kreis, sie ist eine Wissenschaft unter
Wissenschaften geworden, aber jetzt mit dem negativen Akzent, dass sie nicht
mehr ihre Aufgabe als Philosophie wahrnimmt. … Adorno hingegen war Philosoph im
umfassenden Sinne, indem er noch philosophiert hat, über – nicht abfällig
gesagt – Gott und die Welt. Also er konnte ausgehend von der Ästhetik, das ist
seine Heimat gewesen, von der er ausgeht, über alles interessant reden, er
konnte Substantielles über alles sagen, über ethische über erkenntnistheoretische
Probleme - dieses Philosophieren im
umfassenden Sinne ist unserer Zeit verloren gegangen, es wird aber gesucht. Und
das merken die Studenten, und deswegen glaube ich nicht, dass Adorno ein Denker
ist, der vergangen ist, sondern der in seinen Gedanken lebt und in Zukunft auch
weiter leben wird.
Sprecher:
Philosophie
- schrieb Adorno - sei ein Fach und ein
Nichtfach zugleich; ein Fach, insofern die Philosophie ebenso wie andere
Disziplinen ihre eigene Terminologie, ihre Methoden, ihre Geschichte
hervorgebracht hat; aber auch ein Nichtfach, insofern sie die Grenzen einer
Disziplin übersteigt und kein abfragbares totes Wissen, sondern ein Denken
darstellt, das immer wieder neu anhebt. Adorno propagierte nicht nur eine
solche Auffassung von Philosophie, er verkörperte sie auch, er lebte sie.
Axel Honneth, der heute das Institut für
Sozialforschung leitet und an der Universität Frankfurt Philosophie lehrt, führt
diese Anziehungskraft Adornos darauf zurück, dass Adorno auch in seiner
Persönlichkeit ganz unterschiedliche Tätigkeitsbereiche verband, ohne sie in
eine Einheit zu zwingen.
Axel Honneth, O-Ton:
Wir haben es zu tun mit dem extrem engagierten, in das
Musikleben Frankfurts auch eingreifenden Musiktheoretiker, der enge Beziehungen
hält zu Dirigenten und Komponisten seiner Zeit, der in Darmstadt bei den
Musiktagen immer wieder maßgeblich auftritt. Wir haben es zu tun, mit dem
Philosophen, der an der Negativen Dialektik arbeitet, die Minima Moralia
verfasst, - und das, so denke ich, mit höchstem Stilbewusstsein auch versucht
durchzuführen. Wir haben es zu tun mit demjenigen, der die soziologischen
Untersuchungsarbeiten im Institut gleichzeitig mitbetreut, sich auch einlässt
auf das, was die empirische Forschung als besondere Herausforderung bedeutet.
Und wir haben es viertens zu tun, mit dem …Volksaufklärer…, der die Medien als
eine Chance begreift, … der sich an ein Publikum zu wenden versucht, und diese
vier Elemente sind wie gesagt in einer einzigen Person miteinander verknüpft,
ohne dass es wahrscheinlich für die Außenstehenden ein klares und durchsichtiges
Verhältnis gab - das vielleicht Faszinierendste an seiner Person.
Sprecherin:
Adorno verkörpert einen ganz anderen Typus von Denker
und Intellektuellem als zum Beispiel Jürgen Habermas. Habermas kann aufgrund
seines philosophischen Ansatzes bruchlos
aus der Rolle des distanzierten Theoretikers in die des engagierten
Intellektuellen hinüberwechseln. Ja, das eine ergibt sich aus dem anderen. Denn
Habermas hat ein zwar kritisches, aber doch positiv grundiertes Bild der
Vernunft, die er von vornherein sprachlich auslegt. Vernunft – so Habermas - fußt
nicht im einsamen Bewusstsein, im Paradigma des Ich-denke, sondern in einer
intersubjektiven Kommunikation. Ihr Paradigma lautet: „Wir-sprechen“. Auch eine
Gesellschaft, die kein freies gleichberechtigtes Gespräch zulässt, in der Prozesse
der Willensbildung und Entscheidung durch Herrschaft und Entfremdung
manipuliert sind, weist bei aller Verzerrung immer noch auf die Idee der
Verständigung hin. Argumentativ
streiten, Lösungsvorschläge prüfen, Entscheidungen abwägen, verlangt jedoch,
dass die Beteiligten im Diskurs fähig sind, mit eigener Stimme zu sprechen und,
so Kant, selbständig zu denken wagen.
Sprecher:
Adorno zeichnet – wie Schopenhauer und Nietzsche - ein
dunkleres Bild der Vernunft, er sieht sie schon in ihren Anfängen durch einen
Willen zur Herrschaft verzerrt. Nun droht die Ideologie der Machbarkeit auch
das Feld der Moral zu erobern, mit der Vorstellung, wir könnten mit ein bisschen gutem Willen
alles zum Besten richten. Adorno warnt vor
einem naiven wohlfeilen Optimismus, der blind wird gegenüber den Verstrickungen
und Zwängen, und dadurch die nach seiner Ansicht geringe Chance zum Besseren vertut.
Th. W. Adorno, O-Ton:
Diese Gefahr möchte ich nachdrücklich unterstreichen.
Und zwar ganz einfach aus dem Grund, weil nicht nur die Gesellschaft, wie sie
ist, die Menschen unmündig hält, sondern weil bereits jeder ernsthafte Versuch,
sie zur Mündigkeit zu bewegen – das Wort ‚erziehen’ vermeide ich mit Absicht – unbeschreiblichen Widerständen ausgesetzt
ist, und weil alles Schlechte in der Welt sofort seine beredten Anwälte findet,
die einem beweisen werden, dass gerade das, was man dabei will, schon längst
überholt oder nicht mehr aktuell oder utopisch sei. Ich möchte … zu bedenken
geben, dass gerade im Eifer des Änderungswillen allzu leicht verdrängt wird,
dass Versuche, in irgendeinem partikularen Bereich unsere Welt wirklich
eingreifend zu ändern, sofort der überwältigenden Kraft des Bestehenden
ausgesetzt sind und zur Ohnmacht verurteilt erscheinen.
Wer ändern will, kann es wahrscheinlich überhaupt nur,
indem er diese Ohnmacht selber und seine eigene Ohnmacht zu einem Moment dessen
macht, was er denkt und vielleicht auch was er tut.
Musik:
Adorno: Zwei Stücke fuer
Violinkonzert (1920), Variationen, 1`05